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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Autoren: Elias Palm
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sowohl ihrer Mutter als auch ihrer Großmutter völlig unbegreiflich. Sie hatten ein ums andere Mal ihren Unmut über die wenig weiblichen Arbeitsaufgaben bekundet, die mit dem Arztberuf einhergehen würden. Ella hatte es ihrerseits genossen, genau diese Aufgaben während der immer seltener werdenden Essenseinladungen im Verwandtenkreis zu thematisieren. Hochrot im Gesicht bereute ihre Großmutter Grete jedes Mal bitter, wenn sie Ella im Beisein der übrigen Gäste fragte, was sie in der vergangenen Woche in der Schule gelernt hätte, wie Grete es immer ausdrückte. Als ginge Ella in die Grundschule und nicht zum Medizinstudium. Ella beschrieb daraufhin in schillernden Farben, wie sie gelernt hätten, die Prostata bei älteren Männern zu untersuchen, jene Drüse, die am einfachsten über die Öffnung im Enddarm zu untersuchen war. Alles, was man dafür benötigte, war ein Finger, etwas Gleitmittel und ein Handschuh. Grete sah aus, als würde sie jeden Moment explodieren, während Ellas Großvater die angespannte Situation entschärfte, indem er Ella in ihren Darlegungen mit säuerlicher Miene unterbrach und darauf hinwies, dass man doch froh sein müsse, dass man die Untersuchung wenigstens nur mit einem Finger durchführte. Alle Anwesenden lachten, auch wenn der Grad der Aufrichtigkeit des Lachens unter den Essensgästen variierte, vor allem, was die Gastgeberin Grete anbelangte.
    Grete Liedenburg-Rossing. Allein der Name verriet schon eine ganze Menge über die Frau. Grete war in Deutschland aufgewachsen und nach dem Krieg gemeinsam mit ihrer Schwester nach Schweden gekommen. Sie war stolz auf ihr deutsches Erbe und hatte sich dafür entschieden, ihren Nachnamen beizubehalten und in einen Doppelnamen umzuwandeln, als sie Ernst Rossing heiratete. Offenbar war Liedenburg ein altes vornehmes Geschlecht aus Bayern, worauf es Grete jedes Mal hinzuweisen gelang, wenn jemand auf ihre Herkunft zu sprechen kam. Ella selbst hatte ihren Nachnamen abgelegt, sobald sie mündig wurde.
    Ella war im Gegensatz zu Grete extrem zurückhaltend damit, ihre aristokratische Herkunft zu thematisieren, ganz zu schweigen von ihrer Arbeit. Denn viele ihrer Arbeitsaufgaben würden einem Außenstehenden vollkommen unbegreiflich, wenn nicht sogar makaber erscheinen. Die Beurteilung gewisser Verletzungen der Toten erforderte gelinde gesagt umfassende und sehr sorgfältige Untersuchungen der Leichen. Doch im Protokoll wurde lediglich das Ergebnis der Untersuchungen dargelegt und nicht die Vorgehensweise. Selbstverständlich wurden diese Untersuchungen nur durchgeführt, wenn sie erforderlich waren, aber genau da lag das Problem. Nicht bei allen Verletzungen war es möglich, das betreffende Organ kurzerhand zu entnehmen, um es zu untersuchen. Manche Verletzungen erforderten bedeutend kompliziertere Methoden, um sichtbar gemacht zu werden. Mit der entsprechenden Technik konnte man beispielsweise feststellen, welche Form von Gewalt bei spezifischen Bruchspuren an den Halswirbeln angewendet wurde, doch diese Technik beinhaltete Prozesse wie Einfrieren, Zersägen und schließlich Aufkochen der entsprechenden Substanzen. Begriffe, die für die meisten Menschen in keinerlei Zusammenhang mit einer Obduktion standen. Wenn also ein Bekannter Ella unbedacht danach fragte, womit sie sich bei der Arbeit beschäftigte, entschied sie sich oftmals, eher ausweichend zu antworten.
    Ihre Arbeit wurde kurz gesagt als andersartig aufgefasst. Das hatte sie akzeptiert. Sie hatte zudem inzwischen begriffen, dass man auch sie selbst manchmal als andersartig wahrnahm. Denn Ella teilte zum Beispiel das Glücksgefühl nicht, das ihre Freundinnen zu empfinden schienen, wenn sie shoppen gingen, um Kleidung, Handtaschen und Ähnliches zu kaufen. Ellas Mutter und Großmutter hatten diese Einkaufsbummel für sie zu einem Ereignis werden lassen, das sie als alles andere als lustbetont erlebte. Schon früh hatte sie zu hören bekommen, dass sie sich mit ihrem recht weiblichen, aber nicht besonders groß gewachsenen Körper von karierten Mustern fernhalten sollte, und wenn es sich um etwas Gestreiftes handelte, dürften die Streifen auf keinen Fall horizontal verlaufen. Sie hatte immer noch ihre Stimmen von damals im Ohr, als sie hin und wieder zu einem kurzentschlossenen Kleiderkauf gezwungen wurde. Ella musste bei dem Gedanken innerlich lächeln, was ihre weiblichen Verwandten wohl zu der grünen Operationskleidung sagen würden, die sie während einer Obduktion trug. Wenn man
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