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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Autoren: Elias Palm
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Schlinge geformt war.
    Ella schaute ihren fast fünfzehn Jahre älteren Assistenten Johannes fragend an. Er schielte weder, noch war sein Rücken buckelig, Attribute, von denen viele zu glauben schienen, dass sie zu diesem Beruf dazugehörten. Die Assistenten hatten bis vor nicht allzu langer Zeit noch mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt, die besagten, dass sie ziemlich kauzig und schwierig im Umgang sein mussten, weil sie sich entschieden hatten, mit Toten zu arbeiten. Inzwischen hatte sich das gründlich geändert, nicht zuletzt durch die romantischen Inszenierungen von Mordermittlungen und Tatortuntersuchungen in Film und Fernsehen. Plötzlich stand man als Angestellter der Rechtsmedizinischen Abteilung ganz selbstverständlich im Zentrum der Aufmerksamkeit seiner Umgebung. Nur wenige Dinge schienen die Menschen so stark zu interessieren wie ein unschöner, plötzlicher Tod.
    Aus diesem Grund waren Studienbesuche in der Abteilung nicht mehr ungewöhnlich. Dabei handelte es sich um Polizisten, Staatsanwälte oder Krankenhauspersonal. Oftmals war ihre Ernüchterung deutlich zu spüren, wenn die Räumlichkeiten den Erwartungen nicht entsprachen, die sie während unzähliger Stunden vor dem Fernseher aufgebaut hatten. Der Obduktionsaal war weder gekachelt, noch blinkten oder knackten die Neonröhren an der Decke. Kein Wasserhahn tropfte, und zur großen Enttäuschung der Besucher wurde der Obduktionssaal nahezu ausschließlich nachmittags gezeigt, wenn er leer und gereinigt war. Das Einzige, was den Bezug zum Anwendungsbereich der Räumlichkeiten herstellte, waren die vier Tische aus rostfreiem Stahl, die in dem gestrichenen Betonboden verankert waren. Oftmals hatten die Assistenten auch alle Messer weggeräumt, sodass nur noch ein paar Sägen und ein stählernes Lineal auf den Tischen lagen. Das Ganze war wenig aufsehenerregend.
    Für Johannes war allerdings nicht die etwas merkwürdige Bekleidung des Toten ausschlaggebend gewesen, mit dem Ausziehen zu warten, bis Ella die Leiche gesehen hatte. Das Wissen um die Modegewohnheiten der heutigen Jugend war nicht gerade sein Fachgebiet.
    »Schau dir mal seine Strümpfe an«, sagte Johannes, und in seinen Augen funkelte es listig.
    Während Ella das Diktafon auf Brusthöhe am Kittel befestigte und sich die Plastikschürze umband, rekapitulierte sie im Stillen den ersten Fall des Tages. Am Ende eines jeden Arbeitstages gingen sie jeweils die Verstorbenen durch, die am folgenden Tag obduziert werden sollten. In den Fällen, wo kein Verdacht auf ein Verbrechen vorlag, forderte die Polizei automatisch eine gewöhnliche rechtsmedizinische Obduktion. Diese beinhaltete neben der routinemäßigen Untersuchung der inneren Organe des Körpers auch eine sorgfältige Begutachtung des Äußeren der Leiche, um unter anderem nach Anzeichen für äußerliche Gewalt zu suchen. Im Zusammenhang mit einer solchen Untersuchung nahmen die Rechtsmediziner manchmal Kontakt zur Polizei auf, wenn nur schwer erklärbare äußerliche Befunde an der Leiche den Verdacht auf ein Verbrechen nahelegten. Dabei konnte es sich um Abwehrverletzungen an den Armen eines Alkoholikers oder blaue Flecken am Hals aufgrund eines Todes durch Erhängen handeln. Daraufhin ordnete die Polizei in solchen Fällen dieselbe Art von Untersuchung an, die bei einem offensichtlichen Mord durchgeführt werden musste, die so genannte erweiterte rechtsmedizinische Obduktion. Diese Untersuchung erforderte mehr Ressourcen und mehr Zeit als eine gewöhnliche Obduktion. Doch ehrlich gesagt geschah es äußerst selten, dass man bei Routinefällen Anzeichen von Gewalt entdeckte, die Veranlassung zu einer solchen Kontaktaufnahme mit der Polizei gaben.
    Bei der gestrigen Besprechung hatte es den Anschein gehabt, es handle sich beim ersten Fall dieses Tages um einen Routinefall – ein einundzwanzigjähriger Mann, der in der Garage tot an einem Seil hängend aufgefunden worden war. Der junge Mann studierte an der Universität Industriedesign, wohnte jedoch noch zu Hause bei seinen Eltern – denn in den meisten Universitätsstädten waren Studentenzimmer Mangelware. Die Eltern waren über Silvester weggefahren und hatten ihren Sohn in der Garage gefunden, als sie wieder nach Hause kamen. Bei der Leiche hatte man das Handy des Toten gefunden, auf dessen Display eine kurze Nachricht zu lesen war: » VERZEIHT «. Angaben über vorherige Selbstmordversuche fehlten im Polizeibericht, der bei Routinefällen normalerweise recht kurz gefasst war,
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