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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter
Autoren: Tessa Korber
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    Am Milchmarkt, gegenüber dem Haus Zur goldenen Sonne, gingen die in der Frühsonne blinkenden Fenster auf. Zwei Mägde steckten die Köpfe hinaus und betrachteten die nicht mehr ganz junge Frau, die drüben vor die Haustür getreten war und nun auf dem lehmigen Boden kauerte, die Röcke achtlos gerafft und offenbar ohne jeden Sinn dafür, dass ihre Säume sich im feuchten Lehm mit Schmutz vollsogen. Seltsame Schächtelchen hatte sie um sich herum verstreut, und an ihrem Gürtel hingen Gerätschaften, als ginge sie auf eine Expedition. Sie schien völlig in ihr Tun versunken zu sein.
    »Was treibt sie denn da?«, fragte die eine Magd.
    Die Hausherrin kam dazu, nicht weniger neugierig. Lieblos schaukelte sie ein Kleinkind auf ihrer Hüfte, während sie den Hals nach ihrer Nachbarin lang machte. »Sie hebt tatsächlich Würmer auf«, stellte sie fest. »Wie immer.«
    »Igitt.« Die beiden Mädchen schüttelten sich. Die Jüngere lachte dumm, schlug sich aber rasch die Hand vor den Mund, als ihretwegen ein paar Tauben vom Dachrand aufflogen und mit laut schwirrenden Flügelschlägen in Richtung Burg aufflatterten, wo sie am blassen Frühlingshimmel hinter dem Turm verschwanden.
    Die Wurmgräberin jedoch ließ sich nicht stören. Sie hob nicht einmal den Kopf mit dem dunklen Mittelscheitel, aus dem sich rundum krause Locken zu lösen begannen.
    »Sie wühlt mit beiden Händen im Dreck.« Die ältere Magd schüttelte den Kopf. Dafür hatte sie kein Verständnis. Ihr ganzes Leben galt dem Kampf gegen Schmutz und Ungeziefer, den Mäusen in der Mehlkiste, den Motten im Schrank, den Würmern, die ihren Salat fraßen, den Rüben zerstörenden Käfern oder den Läusen auf den Köpfen der Kinder, die sie jeden Abend mit ihren Fingern zerdrückte, wenn sie vor dem Küchenfeuer hockte, die Bälger zwischen den Knien. Wie es zischte, wenn man die Viecher in die Flammen schnippte. Sie war die Feindin der streunenden Katzen, der Bettwanzen, die in den Alkoven lauerten, und der Schmetterlinge, die nach allgemeiner Ansicht die Butter verdarben. »Und die hebt sie auch noch auf! Tut sie in Kisten oder hängt sie an die Wand.«
    »Kein Wunder, dass die Ehe nicht funktioniert.« Die Hausfrau nickte vielsagend mit dem Kopf. Ihre Wangen röteten sich in vorauseilender Schadenfreude.
    »Wirklich?« Die Mägde wurden eifriger. »Hat man ihn wieder dabei gesehen?«
    Die Weiber rückten enger zusammen: »Am Garten neben der Schlosskapelle. – Ist ja gut«, fuhr sie ihre Tochter an, die auf ihrer Hüfte zu plärren begonnen hatte. »Ach, das Kind. Hier Kunigunde, nimm’s und bring’s der Amme. Sie soll was tun für ihr Geld.«
    Die Jüngere zog mit dem Säugling ab, widerwillig, weil ihr die pikanten Details nun fürs Erste entgingen.
    Erwartungsvoll schaute die Ältere ihre Herrin an, die den Kopf ein wenig vom Fenster zurückzog, so als könne die ahnungslose Nachbarin etwas mithören. »Man lehnte an der Mauer und poussierte heftig. Es heißt, sie hatte die Röcke hochgerafft.« Sie deutete es mit einem Handgriff in der Luft an und hob vielsagend die Brauen. »Bis hierhin.«
    »Die Frau ist doch selber schuld.« Die Magd war mitleidlos. »Schleppt Viehzeugs ins Haus und hängt des Nachts über Büchern.« Ihre Betonung ließ zweifelsfrei erkennen, dass Letzteres als die schlimmere Sünde galt.
    Die Hausfrau nickte. »Gottgefällig ist es gewiss nicht.«
    Die Magd war mit ihr aus tiefster Seele einig. »Weiß man, wer’s diesmal ist?«
    Aber ihre Herrin hatte sich bereits aus dem Fenster gelehnt. »Gott zum Gruß, werte Frau Gräffin!«, rief sie mit einschmeichelnder Stimme.
    Maria Sibylla, geborene Merian, nach ihrem Ehemann Andreas Graff nur die Gräffin genannt, bemerkte nun ihre Zuschauerinnen, richtete sich auf und wedelte zerstreut mit der Hand.
    Betont freudig winkten die beiden zurück. »Was für ein schöner Tag, so früh im Jahr«, beeilte sich die Hausherrin zu bemerken.
    »Zeit wurd’s ja nach dem vielen Regen.« Maria nickte, in Gedanken immer noch bei ihrem Fund, den sie eben in einer Spanschachtel verstaute.
    »Und der Winter war so kalt.« Damit hatte man das Thema ausreichend behandelt. »Wo geht’s denn immer hin, Frau Nachbarin?«, erkundigte sich die Hausherrin leutselig.
    »Zum Laufer Tor für heute, dort wartet schon meine Jungfern-Companie.«
    »Ja freilich, das Fräulein Imhoff ist gewiss auch immer dabei?« Bei dieser Frage warf die Hausherrin ihrer Magd einen vielsagenden Blick zu. Fräulein Imhoff, die war
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