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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter
Autoren: Tessa Korber
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sie ihn genauer. »Das ist ein Weibchen, seht ihr die schwarze vordere Flügelspitze? Ein Männchen dagegen hätte Orange auf der vorderen Flügelhälfte. Vorsicht, Barbe.« Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen, ließ ihr Netz fallen, und der Falter entkam.
    »Ach, du Tollpatsch«, maulte Susanna und erhielt einen Stoß. Magdalena fand es zum Lachen, wie fast alles. Clara, die immer Vernünftige, schüttelte den Kopf und wollte schon dazwischengehen.
    »Wartet!«, rief Maria, der das Durcheinander zu viel wurde. Langsam ging sie auf die Hecke zu, die der gelbweiße Sommervogel mit seinen schön marmorierten Flügeln angesteuert hatte. Da, dort unten hockte er ja und klappte die zarten Schwingen auf und zu, rasch und lautlos wie ein Wimpernschlag. Schon hatte sie ihr Netz gehoben, um ihn sacht wieder einzufangen, da erkannte sie, worauf er hockte. Es war ein weißer, nackter Zeh. Ein Frauenzeh.
    Im selben Moment ging es Maria auf, dass der Tag sehr wohl noch viel schlimmer werden konnte.

3
    Als Erstes scheuchte Maria ihre Mädchen zurück. Sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass nicht nur die Angst um die Seelenruhe ihrer Jungfern sie dazu bewog, sondern auch die Sorge, deren Familien könnten ihr erzürnt die Schülerinnen entziehen, sollten sie je erfahren, dass es bei Maria Merian Leichen zu sehen gab. Das gehörte einfach nicht zum Bildungskanon einer Patriziertochter.
    Alles jedoch konnte sie nicht verhindern. Sie hörte es an dem Schnattern und Kreischen hinter sich. Maria unterband das Schlimmste, indem sie Susanna und Magdalena nach der Wache am Tor schickte. Nützeis Tochter erbot sich mitzugehen und gleich den Vater zu informieren: Über so einen Vorfall musste der Rat Bescheid wissen. Maria stimmte zu, wenn auch mit ungutem Gefühl. Es war ihr nicht wohl dabei, ihren Namen in diesem Zusammenhang genannt zu hören. Sie hatte auch so schon einen schweren Stand in der Stadt, in der sie bloß eine Zugereiste war. Aber was sollte sie tun?
    Ganz sicher sollte ich mich aus der Sache heraushalten, dachte sie und hatte sich doch schon über den toten Körper geneigt, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Mit dem ruhigen Auge der Wissenschaftlerin, die Leben und Tod mit derselben offenen Neugierde begegnete, betrachtete sie, was sie vor sich hatte.
    Es war eine noch junge Frau, die Haare nass und verfilzt und völlig verfangen im dornigen Geäst der Schlehe, wie auch die Kleider eben erst im Morgenwind zu trocknen begannen. All das sagte Maria, dass die Frau die Nacht während des Regens schon da gelegen haben musste, aber kaum länger, da noch wenig Getier bei ihr war. Trotz der Kühle hätten Fliegen sie umsummen müssen.
    Der Kleidung nach war es eine Dienstmagd. Allerdings trug sie einen Unterrock, der nicht zum groben Tuch von Rock und Schürze passte, mit Stickerei geschmückt, wenn sie auch billig war. Die Verzierung war an mehreren Stellen eingerissen, wohl, als ihr Mörder sie tiefer ins Gestrüpp geschoben hatte. Unwillkürlich zupfte Maria ein flatterndes Stück Stoff von einem Dorn und knüllte es in ihrer Hand. Die Art, wie die Röcke gerafft waren, ebenso die blauen Flecken an den Schenkeln sagten ihr genug.
    »Ist sie …?«
    Maria fuhr herum. Es war Clara, die neben ihr in die Knie gegangen war. Maria nickte nur.
    »Armes Ding«, konstatierte die Patriziertochter.
    »Du solltest das wirklich nicht sehen«, meinte Maria schwach.
    »Und du?« ,gab Clara zurück. »Der Tod gehört zum Leben dazu.«
    Maria lächelte. »Manchmal bist du schrecklich erwachsen.«
    »Ich bin deine Schülerin. – Was ist?«, fragte sie, als sie den Wechsel in Marias Gesichtsausdruck sah.
    »Ich habe gerade überlegt, was deine Eltern wohl zu dieser Art Lektion sagen werden.«
    »Nun, ich werde ihnen erzählen, dass du ganz züchtig und verantwortungsvoll gehandelt hast, damit unsere unschuldigen Seelen keinen Schaden nehmen.«
    »Genau«, sagte Dorothea, die sich jetzt auch ins Gebüsch drängte. Prompt hatte sie mit ihren Haaren zu kämpfen, die sich in den Schlehendornen verfingen. Beim Anblick, der sich ihr bot, bekreuzigte sie sich. »Gott sei ihrer Seele gnädig.« Dann rief sie aus: »Schau, da sind schon die ersten Schnecken.«
    Unwillkürlich folgten die beiden anderen ihrem Blick. Für einen kurzen Moment sahen sie auch den Falter wieder, der um den Kopf der Toten herumtorkelte. »Sind das Würgemale an ihrem Hals?«
    Weder Maria noch Clara antworteten, um das Offensichtliche zu bestätigen. Dorothea
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