Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter
Autoren: Tessa Korber
Vom Netzwerk:
weitergegangen.
    Auch heute standen die Fenster im zweiten Stock des Fembohauses weit offen. Wie immer hingen feiner Staub und der unverkennbare Geruch nach Gips und feuchtem Stein in der Luft. Sie hörte Männerstimmen, Gelächter, dann ein Lied in der fremden Sprache, deren Klang ihre Ohren mittlerweile begierig auffingen, kaum dass sie einen Hauch davon erhaschte. Aber am Fenster zeigte sich niemand. So ging sie weiter, enttäuscht, ohne es sich einzugestehen.
    Maria vermied den Egidienplatz mit den vornehmen Häusern. Zu oft sprach sie dort als Bittstellerin vor in der Hoffnung, man habe Verwendung für ihre Dienste und sie könne die ewigen Lücken in der Haushaltskasse schließen. Denn sie bot an, Tischwäsche zu verschönern, Bordüren zu erfinden. Es war ein mühsames Geschäft, und sie hatte das Katzbuckeln satt. Nicht heute, sagte sie sich. Der Tag hatte schlimm genug begonnen. Erst das kalte Bett an ihrer Seite, dann die beiden Klatschbasen, nun das leere Fenster … Andererseits: Es konnte jetzt nur noch besser werden.
    Vor dem Laufer Tor, durch das in dieser frühen Stunde schon die Bauernkarren zu den Märkten rumpelten, warteten ihre Fräulein auf sie. Die erste, die sie erkannte, weil ihr weißblondes Haar in der Sonne leuchtete und weil sie ihr heftig entgegenwinkte, war Magdalena Fürst. Magdalena stammte aus dem bekannten gleichnamigen Verlagshaus. Ihr Vater hatte sich vor acht Jahren umgebracht, seitdem betrachteten alle sie mit ein wenig vornehmem Mitleid und dachten, sie müsste ein trauriges, verhuschtes Wesen sein, was aber gar nicht der Fall war. Zwar blickten ihre sehr grünen Augen manchmal ein wenig verhangen und träge, aber ihr Mund blühte, weiblich und voll, in dem meist fröhlichen Gesicht. Magdalena lachte dem Leben ins Gesicht, zum Ärger von mehr als einer säuerlichen Bürgersfrau. »Maria – hier sind wir!«
    Maria Sibylla winkte ebenfalls.
    Clara Imhoff kam auf sie zu und nahm die Lehrerin in den Arm. »Danke für den Firnis«, sagte sie. »Der Bote hat alles sicher überbracht. Du musst mir in der nächsten Stunde zeigen, wie ich ihn auftrage. Allein gelingt mir das einfach nicht.«
    »Sicher, gerne«, erwiderte Maria, die innerlich aufatmete, weil sie sicher sein konnte, dass Imhoffs auch die Rechnung pünktlich zahlen würden.
    Jemand drückte einen Kuss auf ihre Wange. Fast erschrocken wandte Maria sich um, vor ihrem inneren Auge erschien für einen kurzen Moment ein Männergesicht, umrahmt von dunklem Haar. Errötend stellte sie jedoch fest, dass es Dorothea Auer war, mehr Freundin als Schülerin. Die Auerin lachte, dass ihre langen, schwarzen Locken tanzten. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte sie.
    »Bestimmt eine Raupe«, rief Susanna Sandrart. Auch sie stammte aus einer Malerfamilie, ein hübsches Ding mit braunen Flechten und täuschend sanften Augen. Ihr Vater hielt wöchentlich in seinen Wohnräumen Sitzungen der Künstlerakademie ab, deren Besuchern Susanna mit schöner Regelmäßigkeit den Kopf verdrehte.
    Ihre beste Freundin Barbara, die Tochter des Stadtrats Nützel, runzelte die Stirn. »Du bist frech«, stellte sie fest, wie immer beleidigt, dass andere sich solche Bemerkungen erlauben durften, während sie als Ratstochter stets besonders brav zu sein hatte.
    Maria hakte sich zum Trost bei ihr unter. »Wenn wir eine Raupe übers Blatt laufen sehen, können wir schon froh sein. Ich fürchte, für die meisten ist es noch zu früh. Aber ich habe schon einen Kohlweißling fliegen sehen.«
    Die Mädchen sangen auf ihrem Weg hinaus ins Grüne, der bald auf beiden Seiten von blühendem Schlehengestrüpp dicht umgeben war. Waldstücke wechselten sich mit Wiesen voller Obstbäume ab, deren Knospen noch fest geschlossen waren. Gut bei dem Regen, dachte Maria, zu deren Füßen die herabgeschlagenen Schlehenblüten wie Schnee lagen und in der Frühsonne mit den Regentropfen um die Wette leuchteten. Sie forderte ihre Mädchen auf, nach der hellgrünen Raupe des Kleinen Zipfelfalters Ausschau zu halten, der so gerne auf Schlehen saß. Aber der kalte Regen schien sie alle verschreckt zu haben. Maria fröstelte ja selber. Endlich zeigte sich der erste Schmetterling im gaukelnden Flug.
    »Da ist wieder einer!« – »Da!« – »Pass doch auf!« Hektische Bewegung kam in das Frauengrüppchen.
    »Das ist kein Kohlweißling, das ist ein Aurorafalter.« Maria hatte Mühe, im Lärm des Geplappers durchzudringen. Als Barbara ihn fing und ihr brachte, untersuchte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher