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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter
Autoren: Tessa Korber
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Weile über die Farbwahl. Magdalena hingegen blieb stumm.
    Maria legte den Arm um sie. »Möglicherweise hat er recht, und wir sollten tatsächlich alle nach Hause gehen.«
    »Wenn du mich loswerden willst – bitte«, stieß Magdalena hervor, befreite sich, ehe Maria etwas sagen konnte, und stürmte davon.
    Verblüfft schaute die Malerin ihr nach.
    »Launisch wie immer«, stellte Dorothea fest, verabschiedete sich ihrerseits mit einem Kuss auf die Wange, hakte Clara unter und zog die Freundin mit sich fort. »Es gibt viel zu viel zu erzählen«, meinte sie mit unerschüttertem Gemüt, »um jetzt an einem Stickrahmen still zu sitzen.«
    »Ich schick am Abend eine Magd vorbei«, versprach Clara noch über die Schulter hinweg, ohne näher zu erläutern, warum und wozu.
    Dennoch war Maria dankbar. Sie nickte und verabschiedete die beiden winkend. Dann stand sie alleine da, wenn man von dem Schützen absah, der bei der Toten Wache hielt, bis der Rat ihm Verstärkung schickte. Er hatte die Ermordete bei den Füßen ergriffen und war drauf und dran, sie auf den Weg zu ziehen, als er Maria bemerkte und ein wenig verschämt innehielt. Sie erlöste ihn aus der Verlegenheit mit einem Gruß, sammelte ihre restlichen Schachteln ein und marschierte heimwärts.

5
    Daheim fand Maria Sibylla die Magd auf der Bank vor dem Hause. Sie atmete schwer, zu ihren Füßen stand der Holzeimer mit Wasser, das sie vom Brunnen geholt hatte. »Ist’s dir zu schwer?«, fragte die Malerin besorgt. Anna war nicht mehr die Jüngste; sie hatte schon im Haus von Marias Mutter gedient und war den langen Weg aus Frankfurt mit hierher gekommen. Viele ihrer Aufgaben fielen ihr nicht mehr leicht. Ein junges Mädchen anzustellen, das ihr helfen könnte, hatte Maria allerdings nicht das Geld. »Ich sag’s einem der Lehrbuben«, versprach sie, änderte aber im selben Moment ihre Meinung und hob den Eimer selbst hoch, um ihn ins Haus zu tragen.
    Schon im Flur war das Geschrei aus der Werkstatt gut zu hören. Offenbar war ihr Mann endlich aufgestanden und hatte nicht alles so vorgefunden, wie er es sich wünschte. Maria Sibylla wusste, es war nicht ratsam, sich jetzt dort blicken zu lassen. Sie trug ihre Last in die Küche und wollte dann hinaufsteigen in ihre eigene Kammer, die nur so überquoll vor Büchern, Malutensilien und Präparaten. Und doch fand sich immer noch Platz für all die Schachteln, Schächtelchen und Schüsseln, in denen Maria Raupeneier, Raupen oder eingesponnene Puppen am Leben hielt, um sie zur Verwandlung zu bringen. Ein schreckliches Durcheinander herrschte dort, in dem nur sie selbst den Überblick behielt. Für sie war es ein Ort des Wunders, einer Verwandlung, die in ihrer Einzigartigkeit und Göttlichkeit dem Wunder der Eucharistie in nichts nachstand. Jedes Mal, wenn aus einer Lebensform eine andere, verwandelte Form entschlüpfte, fühlte sie sich verbunden mit der Allmacht des Gottes, der sich das ausgedacht hatte. Dann malte sie mit doppelter Hingabe und Fleiß, um auch nur ein wenig einzufangen von den wunderbaren Zusammenhängen, in denen der Herr ihre Welt gestaltet hatte.
    Gerade heute sehnte sie sich nach diesem besonderen Gottesdienst, der ihr Ruhe gab und Gelassenheit. Ein wenig fühlte sie sich dort drinnen selbst wie eingesponnen, geborgen vor der Welt und in ruhiger Erwartung des Neuen, das von ihrer Hand dort geschaffen würde. Aber sie war noch nicht halb die Treppe hinauf, da krachte die Tür der Werkstatt gegen die Wand. Andreas Graff wankte heraus, ungekämmt, das Hemd und die Weste darüber noch offen, so, wie er gestern Abend ins Bett gesunken war. Man konnte den Wein noch riechen, mit dem er den Stoff getränkt hatte. Seine Augen blickten trübe, und der Mund war verzogen wie der eines trotzigen Kindes. »Pfuscherei«, brüllte er niemand Bestimmten an. Hinter ihm in der Werkstatt herrschte Stille. Er stieß die Tür zu. »Elende Pfuscher allesamt«, brummte er. Dann wankte er in Richtung Küche.
    Maria Sibylla war einen Moment in Versuchung, so zu tun, als habe sie ihn nicht bemerkt, und leise nach oben zu entkommen, dann seufzte sie, legte die Schachteln vorsichtig am Fuß des Treppengeländers ab und folgte ihm.
    »Lässt du dich auch mal blicken«, bemerkte ihr Mann, nachdem er den Kopf aus dem Eimer gezogen hatte. Das Wasser troff ihm aus den Locken, die noch immer voll waren, goldbraun und weich, wie Maria sie bewundert hatte, als er Schüler in der Werkstatt ihres Vaters gewesen war. So ein hübscher
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