Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todescode

Todescode

Titel: Todescode
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
seiner Schuld zu stehen.
    Egal. Alex war niemandem was schuldig. Er war aus eigener Kraft so weit gekommen. Seine Eltern waren tot, seine Schwester auch, von seiner Familie war ihm allein sein Scheißkerl von großem Bruder geblieben, Ben, der den ganzen Schlamassel verursacht hatte und dann zur Army abgehauen war, nachdem ihr Vater … nachdem er gestorben war. Alex hatte seit der Beerdigung ihrer Mutter nicht mehr mit Ben gesprochen, und das war jetzt acht Jahre her. Selbst damals, als nur noch sie beide übrig gewesen waren, hatte Ben nicht sagen wollen, wo er jetzt wohnte oder was er machte. Er war einfach zur Trauerfeier aufgetaucht und wieder verschwunden, hatte Alex alles allein erledigen lassen, genau wie er Alex mit der Pflege ihrer Mutter in den letzten anderthalb Jahren ihres Lebens alleingelassen hatte. Nach Abwicklung der Nachlassangelegenheiten – wieder im Alleingang – hatte Alex Ben in einer E-Mail über seinen Anteil informiert, der ziemlich groß ausfiel, da ihr Vater vermögend gewesen war und sie beide die einzigen Erben waren. Ben hatte sich nicht einmal bei ihm bedankt, sondern ihm lediglich mitgeteilt, er solle die Unterlagen an eine Adresse in Fort Bragg, North Carolina, schicken, er würde sie dann unterschreiben, sobald er dazu käme. Soweit Alex wusste, war Ben im Augenblick im Irak oder in Afghanistan. Manchmal fragte Alex sich, ob sein Bruder überhaupt noch lebte. Es war ihm egal. Er würde ohnehin nie wieder mit ihm reden.
    Dieser gottverdammte Hilzoy. Alex hasste es, ihn zu brauchen, aber so war es nun mal. Denn wenn Obsidian auch nur halb so erfolgreich war, wie Alex erwartete, würde auf das Startkapital eine zweite, dritte, vielleicht eine vierte Finanzierungsrunde folgen. Nach dem Verkauf oder dem Börsengang würden die Anteile der Kanzlei ein Vermögen wert sein. Und Hilzoy würde nie vergessen, wem er das zu verdanken hatte. Für die ganze juristische Arbeit danach wäre einzig und allein Alex verantwortlich, sein Name würde unauslöschlich mit Obsidian verbunden sein. Er wäre der Anwalt, der das heißeste Unternehmen des Jahres vertrat, vielleicht der letzten zehn Jahre, und dann würden die David Osbornes der Welt um die Krumen von
seinem
Tisch betteln.
    Vorausgesetzt, Hilzoy hatte nicht bereits alles für sie beide in den Sand gesetzt. Begriff er denn nicht, wie beschäftigt solche schwergewichtigen Investoren waren, wie viele Angebote ihnen tagtäglich gemacht wurden, wie viele davon ihr Interesse weckten?
Wenn die anbeißen, haben Sie nur eine einzige Chance, sie zu überzeugen
, hatte Alex ihm eingeschärft.
Eine einzige.
    Wenn Hilzoy die Sache vermasselte, würde Alex ihn umbringen.

3 Ein simples Einvernehmen
    Ben Treven saß im Istanbuler Hotel Park reglos auf der Kante eines Holzstuhls und beobachtete durch ausgefranste Gardinen die verregnete nachmittägliche Straße zwei Stockwerke tiefer. Das Zimmer war klein und spartanisch eingerichtet, doch das interessierte ihn nicht im Geringsten. Das Fenster stand einen Spalt offen, und hin und wieder wurde die Stille im Raum von Geräuschen der Stadt da draußen durchbrochen: Autos, die über das alte Kopfsteinpflaster rumpelten und durch Schlaglöcher platschten; die Rufe von Teppichhändlern, die vor ihren kleinen Läden standen und Passanten anzulocken versuchten; der eindringliche Singsang der Muezzin, die die Gläubigen fünfmal am Tag zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang zum Gebet riefen.
    Das offene Fenster ließ aber nicht nur die Geräusche herein, sondern hielt obendrein den Raum kalt. Wenn es so weit war, musste er rasch handeln, und er hatte bereits Hirschlederhandschuhe, eine Wollmütze und eine fleecegefütterte, wasserdichte Jacke angezogen. Sein Haar war naturblond, doch der falsche Bart, den er trug, war schwarz. Mit der Mütze auf dem Kopf würde niemand die Unstimmigkeit bemerken.
    Die warme Kleidung war natürlich ein guter Schutz gegen den Regen und die Dezemberkälte, aber das war nicht der einzige Vorteil. Die Handschuhe verhinderten Fingerabdrücke. Die Mütze verdunkelte seine Gesichtszüge. Die Jacke verbarg eine Glock 17 mit Schalldämpfer in einem Cross-Draw-Holster auf der linken Seite.
    Auf dem niedrigen Tisch neben ihm stand ein Rucksack mit Kleidung, zwei Sandwiches, einer Flasche Wasser, einem Erste-Hilfe-Set, Munition, falschen Reisepapieren und einigen anderen nützlichen Dingen. Der Rucksack war das Einzige im Zimmer, das mit dem Gast in Verbindung zu bringen war, und es würde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher