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Todescode

Todescode

Titel: Todescode
Autoren: Barry Eisler
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1 Aufwärts
    Richard Hilzoys letzter Gedanke, ehe die Kugel in sein Gehirn drang, war:
Es geht wirklich aufwärts.
    Er war auf dem Weg in die Kanzlei seines Anwalts Alex Treven in Silicon Valley. Dieser hatte einen Termin mit Kleiner Perkins vereinbart, den mächtigen Risikokapitalgebern, die den Wert einer Firma schon allein durch das Angebot, in sie zu investieren, um das Hundertfache steigern konnten. Und nun zogen Kleiner Perkins in Erwägung,
ihm
einen Scheck auszustellen, Richard Hilzoy, Genie, Erfinder von Obsidian, dem weltweit modernsten Verschlüsselungscode, der jede andere Netzwerksicherheitssoftware in die Mottenkiste verbannen würde. Alex hatte das Patent bereits angemeldet, und wenn die Risikokapitalgeber mitzogen, würde Hilzoy Büroräume anmieten, Geräte kaufen, Personal einstellen können – alles, was er brauchte, um das Produkt erfolgreich zu vermarkten. In wenigen Jahren würde er das Unternehmen an die Börse bringen und mit seinen Anteilen ein Vermögen machen. Oder er würde als Privatunternehmer weitermachen, für die Sicherheitssoftware das Gleiche werden, was Dolby für den Sound war, und mit Lizenzvergaben Milliarden einstreichen. Oder Google würde ihn kaufen – die mischten ja inzwischen bei allem mit. Entscheidend war: Er würde reich werden. Sehr reich.
    Und verdient hatte er es. So lange, wie er schon für kleines Geld bei Oracle im Forschungslabor arbeitete, spätabends ein Red Bull nach dem anderen trank und bibbernd auf dem verlassenen Firmenparkplatz Zigarettenpausen einlegte, während er die Sticheleien und das Gelächter hinter seinem Rücken ertrug. Letztes Jahr hatte seine Frau sich von ihm scheiden lassen, das würde dem Miststück jetzt ganz schön leidtun. Wenn sie clever gewesen wäre, dann hätte sie gewartet, bis er in Geld schwamm, um ihn dann auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Aber sie hatte genauso wenig an ihn geglaubt wie alle anderen. Außer Alex.
    Er ging die rissigen Eingangsstufen seines Apartmenthauses in San Jose hinunter und blinzelte in die grelle Morgensonne. Er hörte das Dröhnen des Rushhour-Verkehrs auf dem Interstate 280 einen halben Block entfernt – das Vorbeirauschen einzelner Autos, Laster, die mit knirschendem Getriebe auf der Auffahrt an der South Tenth Street beschleunigten, hin und wieder wütendes Hupen – und ausnahmsweise mal störte es ihn nicht, so wohnen zu müssen, gleich neben dem Highway. Auch die billigen Fahrräder und angerosteten Barbecues und schäbigen Plastikabfalleimer, die dichtgedrängt an der Mauer des Nachbargebäudes standen, störten ihn jetzt nicht – genauso wenig wie der Gestank, den der leichte Herbstwind von dem überquellenden Müllcontainer auf dem Parkplatz herüberwehte.
    Denn Alex würde ihn aus diesem Drecksloch herausholen. Oracle war ein Mandant von Alex’ Kanzlei, und Hilzoy war Alex’ Ansprechpartner in Sachen Patente. Anfangs war Hilzoy nicht sonderlich angetan gewesen. Ein Blick auf Alex’ blondes Haar und seine grünen Augen hatte genügt, um in ihm eins von diesen hübschen Jüngelchen zu sehen – reiche Eltern, die richtige Schule und Uni, das Übliche. Doch er hatte sehr schnell gemerkt, dass Alex sich mit der Materie auskannte. Er war, wie sich herausstellte, nicht bloß Anwalt, sondern hatte auch zwei Abschlüsse in Stanford gemacht – einen Bachelor in Elektrotechnik und einen Doktor in Informatik. Er verstand genauso viel vom Programmieren wie Hilzoy, wenn nicht noch mehr. Als Hilzoy sich schließlich dazu durchgerungen hatte, ihn beiseitezunehmen und wegen der Patentierung von Obsidian um Rat zu fragen, hatte Alex sofort kapiert. Er hatte nicht bloß mit seinen Honorarforderungen gewartet, er hatte Hilzoy auch mit einer Gruppe von Start-up-Investoren bekannt gemacht, die Hilzoy ausreichend Geld zur Verfügung stellten, um seinen Job zu kündigen und die Geräte zu kaufen, die er brauchte. Und jetzt war er ganz kurz davor, sich von den allerdicksten Geldgebern finanzieren zu lassen. Und das alles innerhalb eines einzigen Jahres. Unglaublich.
    Natürlich gab es gewisse Aspekte bei Obsidian, die den Investoren vielleicht nicht gefallen würden, wenn sie von ihnen wüssten. Womöglich fänden sie sie sogar beängstigend. Aber sie würden nichts davon erfahren, weil es keinen Grund gab, sie zu informieren. Obsidian konnte Netzwerke schützen, und keines der großen, börsennotierten Unternehmen würde zögern, dafür haufenweise Kohle lockerzumachen. Das interessierte solche Investoren.
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