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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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Mitgefühl und hätte es am liebsten ignoriert. Nein, sie wollte nichts von diesem Mann, der Emil so lange in seiner Gewalt gehabt hatte. Als Letztes wollte sie sein Mitgefühl.
    »Es tut mir leid«, nuschelte Talabani.
    Wencke wandte sich ab. »Lasst uns gehen«, sagte sie zu Emil und Axel.
    »Ich war es.« Talabani räusperte sich und fügte hinzu: »Nehmen Sie mich mit nach Deutschland, bitte, dann können meine Kinder mich im Gefängnis besuchen, wenn sie wollen. Ich werde alles gestehen, ich habe Shirin getötet, ich bin der, den Sie suchen.«
    Obwohl Wencke wusste, diese Worte klangen falsch, nicht unbedingt nach einer Lüge, aber eben auch nicht wie die Wahrheit, widersprach sie nicht. Sie nahm Emil an die eine und Axel an die andere Hand und suchte den Ausgang aus dem Labyrinth. Sie sehnte sich nach dem Himmel, nach der Sonne und dem Glauben daran, dass nun tatsächlich alles wieder gut war.

22.
    »Nichts ist gut! Gar nichts!«
    Wencke war zum dritten Mal während dieses Gesprächs versucht, den Hörer aufzulegen. Sie lag in ihrem Bett, es war kurz vor Mitternacht, der Wecker tickte, das Bild hing an der Wand, die Demokratenkappe lag auf dem Kleiderschrank, die Briefe im Nachttisch, Emil schlief schon seit Stunden tief und fest.
    »Ich verspreche dir, ich komme nächstes Wochenende. Ganz sicher. Ich kann sagen, ich hätte eine Tagung. Kerstin fragt bei so etwas nicht nach   …«
    »Am Wochenende ist meine Mutter da.«
    »Immer noch?«
    »Emil braucht seine Oma. Es tut ihm gut, wenn sie für ihn da ist.«
    »Wie geht’s denn mit ihm? Kommt er klar mit der Sache?«
    Gute Frage. Hatte Emil »die Sache« verkraftet? Konnte irgendjemand das eigentlich mit Sicherheit sagen? Es gab keineeinfache Antwort auf diese Frage. Kinder sind robust, bestätigte die Therapeutin und stellte bereits eine optimistische Prognose. Wenckes Sohn schmückte bei seinen Klassenkameraden die Geschichte inzwischen zu einem Abenteuerausflug in eine andere Welt aus. »Am meisten leidet er wohl unter seiner Frisur, die in der Schule als extrem uncool kommentiert wurde.«
    Axel lachte in den Hörer. Wie gern würde sie ihn jetzt neben sich haben, hier, an ihrer Seite, ganz nah, und ihm erzählen, dass sie sich Sorgen machte, weil Emil eben nicht alles erzählte, zu viel verdrängte, und sie als Mutter nicht in der Lage war, es zu ändern. Er würde sie in den Arm nehmen und beruhigen und vielleicht sogar einen guten Vorschlag machen, wie man das Problem in den Griff kriegen könnte. Oder er würde einfach mit ihr schweigen. Aber Axel war nicht da.
    »Und du erträgst deine Mutter einigermaßen?«, fragte er nach einer wortlosen Minute und es ging ihr auf den Geist, dass er so lapidar daherredete, als wäre alles nur ein großer Spaß. Wencke wollte nicht wütend werden. Nicht aus der Haut fahren. Es war immer klar gewesen, dass aus ihnen nichts werden würde.
    »Ich bin froh, dass meine Mutter hier ist. Lieber diskutiere ich mit ihr auf dem Sofa über den Sinn oder Unsinn der Operativen Fallanalyse, als allein und stumm zwischen den Kissen zu hocken.«
    Jetzt seufzte Axel. So war es jeden Abend. Immer dieser Wechsel aus Lachen und Seufzen und Lachen und Seufzen.
    »Hey, es wird alles gut werden«, versprach Axel, und sie sagten sich gute Nacht – mehr nicht, dazu war die Stimmung zu trübe   –, dann legten sie auf.
    Nein, nichts war gut.
    Daran änderte weder die Freilassung von Armanc Mêrdîn noch die Genesung seiner fabelhaften Anwältin Kutgün Yıldırım etwas. Karsten Völker wurde suspendiert und musstesein Haus verkaufen, das ohnehin zu groß geworden war, seit seine Frau ihn verlassen hatte, aber auch das ließ Wencke unberührt. Selbst die zahlreichen Menschen – unter ihnen auch Tilda Kosian   –, die Wencke nach ihrer Rückkehr pflichtschuldig auf die Schulter klopften und mal wieder ihren Instinkt lobten, machten es nicht besser.
    Insbesondere der Fall Shirin Talabani war nicht gut.
    Er zerrte noch immer an Wenckes Nerven.
    Die Toten auf dem Rasen vor der Moschee hielten sie wach. Sie trauerte. Selbst um Meryem und Wasmuth. Es hätte nicht so enden müssen. Es gab zu viele Opfer.
    Das war nicht alles.
    Drei Wochen saß Moah Talabani bereits in Untersuchungshaft, in einem halben Jahr sollte die Verhandlung stattfinden, eine schnelle Angelegenheit, so erwartete man den Prozess, schließlich war er in allen Punkten geständig.
    Und das war immer noch nicht alles. Das war zu einfach. Zu glatt. Wencke spürte, er war zwar
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