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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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Wenn nur Emil nicht darunter war!
    Ein Mann, dessen Brille noch akkurat auf der Nase saß – unzerbrochen   –, doch der Rest war zerstört. Nicht Emil! Ein Polizist, schon recht nah an der Mitte des Grauens, vielleicht hatte er versucht, noch etwas zu verhindern. Ein toter Held. Die Spirale der Opfer zog sich immer dichter. Wencke zwang sich, ihnen allen ins Gesicht zu schauen – auch wenn bei einigendavon nicht mehr viel übrig geblieben war. Nicht Emil! Nicht Emil!
    Wasmuth war der Letzte. Sein Rucksack lag ein paar Meter von ihm entfernt. Der leichte Wind wehte seine verdammten Flyer über den Rasen. Einer blieb an dem zerfetzten beigen Cordsakko hängen. Nicht Emil!
    Mit letzter Kraft schleppte sich Wencke bis zu einer Stelle, an der der Geruch etwas besser zu ertragen war. Dann sackte sie vor Erleichterung auf dem Rasen zusammen.
    Sieben Tote hatte es gegeben, Meryem und Wasmuth mit eingerechnet. Doch, Gott sei Dank, es war kein Junge dabei. Emil lebte! Trotzdem heulte Wencke wie ein kleines Kind.
    Ein Polizist versuchte, sie auf Englisch zu beruhigen, schließlich habe man das Schlimmste doch verhindern können.
    Ein schwacher Trost. Sieben Menschen waren sieben Menschen zu viel. Vielleicht hätte es auch Worte und Sätze gegeben, die Meryem überzeugt hätten, den verhängnisvollen Auslöser nicht zu betätigen. Doch Wencke hatte diese Worte nicht gefunden. Diese Gewissheit und die Bilder von eben würden ihr wohl für den Rest des Lebens durch den Kopf geistern.
    Axel kam auf sie zu. Er hatte in alle Krankenwagen geschaut, jeden Verletzten ins Visier genommen. Jetzt ließ er sich neben Wencke fallen, legte den Arm um sie, doch nicht mal er war imstande, sie zu trösten. Stattdessen wischte er sich seine eigenen Tränen aus dem Gesicht. »Er ist nicht dabei. Kein kleiner Junge, hat man mir versichert.«
    Dann saßen beide eine Weile wortlos im Park. Die Polizei sperrte den Platz vor der Moschee weiträumig ab. Überall hockten Leute wie sie, schluchzend, geschockt, unfähig einfach weiterzumachen. Die ersten Kamerateams tauchten auf, Reporter ließen sich filmen vor diesem grauenhaft schwarzen Kreis im Grün. Sie wirkten so fremd in ihren sauberen Hemdenohne Schmutz und Blut. Einer kam heran, wollte etwas fragen, aber Wencke winkte ab, so apathisch, als wäre er ein lästiges Insekt.
    Axels Handy klingelte. Die Kosian hatte soeben erfahren, was passiert war, doch Wencke fehlte die Kraft zum Telefonieren und Axel bekam auch nur ein paar knappe Sätze über die Lippen. »Uns geht es gut«, log er. »Wir melden uns später.«
    Das Schweigen war das Einzige, was sich in diesem Moment richtig anfühlte. Die Sirenen der Einsatzfahrzeuge und Rotoren der Rettungshubschrauber machten genug Lärm. Wencke schloss die Augen. Durfte man in einer solchen Situation einfach bewusstlos werden? Sie würde so gern einschlafen oder in Ohnmacht fallen, dann wäre alles zumindest eine Zeit lang vergessen.
    Jemand tippte ihr auf die Schulter. Wencke hielt die Frau, die sich zu ihr herunterbeugte, zunächst für eine weitere Journalistin und wollte schon aufbrausen. Doch auf den zweiten Blick erkannte sie ein weites Blumenkleid und das einfarbige Kopftuch, so etwas trug eine Reporterin wohl kaum. Erst dann wusste sie, wer gerade versuchte, sich verständlich zu machen. Es war die Frau aus der Änderungsschneiderei, die Schwester von Moah Talabani, die Wencke als Absenderin der zugesteckten Zettelbotschaft im Verdacht hatte.
    Sofort war Wencke hellwach. »Was ist?«
    »Du suchen Junge?« Sie flüsterte, als fürchte sie, jemand könne ihren Verrat belauschen, trotz des Chaos ringsherum.
    »Meinen Sohn suche ich! Emil! Wo ist er?«
    »Sie mich nicht verraten?«
    »Nein, ganz bestimmt nicht! Ich weiß, dass Sie mir schon in Hannover den Hinweis geben wollten, dass die Kinder wichtig sind und ich nach ihnen suchen soll. Das war ein wichtiger Tipp, es war mutig und richtig, dass Sie ihn mir gegeben haben.«
    Die Frau nickte. »Aber es ist falsch, was macht meine Bruder. Aber er ist Mann. Verstehst du?«
    Wencke erhob sich und gab Moah Talabanis Schwester die Hand. »Mir ist klar, dass es für Sie sehr schwer sein muss. Sie können mir vertrauen. Ich will nur meinen Sohn wiedersehen.«
    Die Frau zögerte lange. Schließlich, kaum hörbar, flüsterte sie: »Bei Medusa.«
    »Wo?«
    Doch es gab keine weiteren Erläuterungen. Die Schwester von Moah Talabani ließ sie stehen.
    »Hat sie Medusa gesagt?«, fragte Axel, der sich nun ebenfalls
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