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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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falschem Pass in die Türkei hatte schmuggeln können. Auf den ersten Blick mochte ein gelangweilter Kontrolleur keinen Unterschied zwischen ihm und Azad feststellen.
    »Talabani, geben Sie mir mein Kind!«
    »Warum lassen Sie meine Familie nicht endlich in Ruhe?«,herrschte er sie an. Sein Sohn Azad hatte sich zwischenzeitlich in die Arme der großen Schwester geflüchtet. Auch in seinen Augen stand die Angst geschrieben. Wovor fürchtete der Junge sich – vor ihr oder dem Vater?
    »Ich will nichts von Ihnen und Ihrer Familie. Ich will nur meinen Sohn!«
    »Sie lügen! Es geht um Shirin. Um meine Frau. Sie wollen nicht glauben, dass mein Schwager der Täter gewesen ist. Und deswegen lassen Sie uns nicht in Frieden! Dabei Sie verstehen nichts von uns! Gar nichts!«
    »Da haben Sie wahrscheinlich recht. Ich habe keine Ahnung, was in Ihnen und Ihrer Familie vor sich geht.« Man konnte Moah Talabani nicht ansehen, wie weit er gehen würde. Die Fremdheit zwischen ihnen war die größte Gefahr, denn sie setzte Wenckes bislang wirksamste Fähigkeit außer Kraft: Mit ihrer Intuition, ihrer Menschenkenntnis, ihrem Talent für Empathie stand sie hier und heute auf verlorenem Posten. Es konnte sein, dass ihrem Sohn gleich die Kehle durchgeschnitten wurde, aber ebenso konnte man die Gebärden auch als Hilfeschrei Talabanis deuten, der mit Gewalt drohte, um endlich vor sich selbst beschützt zu werden.
    Wencke entschied sich, einen Schritt zurück zu machen, in die Defensive zu gehen. »Was weiß ich schon von Ihnen? Sie sind fromm, bescheiden, lieben Ihre Familie. Sie wurden von Ihrer Frau verlassen und behaupten trotzdem, dass Sie seit ihrem Tod in einem Meer aus Tränen ertrinken.«
    »Ich beschütze meine Kinder, meine Familie.«
    »Das tue ich auch, Herr Talabani. Und deswegen bin ich hier. Sie müssen doch nachfühlen können, was ich empfinde, wenn Sie in diesem Augenblick meinem kleinen Sohn eine Klinge an den Hals drücken.«
    Tränen liefen ihm über das Gesicht, aber er veränderte seine Position nicht um einen Zentimeter. »Was haben Sie dennschon für eine Familie? Was wissen Sie darüber? Emil hat mir gesagt, Sie haben keinen Mann, keinen Vater für den Jungen. Und die Großmutter darf nicht zu Besuch kommen. Immer gibt es Streit. Immer geht es nur um das Geldverdienen. Beruf, arbeiten, Karriere   … In Deutschland sind sich alle egal.«
    Die wunde Stelle, die Talabani zielgenau getroffen hatte, schmerzte sofort. Der Magen, das Herz, die Seele, verdammter Durchschuss. Wencke hätte sich gern gekrümmt. »Ich liebe meinen Sohn. Können Sie das begreifen?«
    »Vielleicht es war ein Fehler, dass ich habe geheiratet Shirin. Hier in der Heimat haben mich alle gewarnt. Sie war schon so deutsch. Sie wollte Freiheit und Selbstverwirklichung. So nennt sie das, deutsches Wort, gibt es nicht in Kurdisch, zum Glück nicht. Aber als Shirin gegangen ist von mir, was hat sie gemacht? Sie hatte viele Männer   … Selbstverwirklichung? Shirin war eine Hure!« Talabani schien sich nicht daran zu stören, dass seine beiden Kinder Roza und Azad ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid betrachteten. Was er sagte, musste er loswerden, Rücksicht konnte er keine nehmen.
    »Eine Hure?«
    »Sie hatte zwei Männer gleichzeitig.« Nun zögerte er doch einen kurzen Moment, holte Luft, als wolle er sich vom steinernen Boden verschlucken lassen.
    »Sagen Sie mir, was Sie wissen   …«, forderte Wencke und hoffte gleichzeitig, dass ihr Drängen ihn nicht wütend machte.
    »Dieser Radikale hat Shirin den Kopf verdreht. Er ist Profi in solchen Sachen.«
    »Von wem sprechen Sie?«
    »Kaan Badili. Er ist einer der Anführer von
kesîbtîya mewcûdbûna Kurdistanê, kmK
. Und ein Menschenfänger. Sucht in Deutschland nach Kämpfern und Geld. Bei Shirin und ihrer Schwester Meryem hat er gefunden beides.«
    Wencke war sicher, diesen Namen in den letzten Tagenschon einmal gehört zu haben, aber es dauerte ein paar Momente, bis sie darauf kam. »Er war ein Klient von Yıldırım Kutgün, Asylbewerber und PK K-Aktivist . Badili war der Liebhaber Ihrer geschiedenen Frau?«
    Talabani nickte. »Sie hätte alles für ihn gemacht, glaube ich. Sie war ihm   … wie sagt man in Deutsch   … sie hörte auf ihn?«
    »Sie meinen, sie war ihm hörig?« Zugegeben, diese Geschichte fügte sich in das Gesamtbild ein, erklärte, warum Shirin Talabani Geld für die Extremisten gesammelt hatte, obwohl sie selbst wahrscheinlich eher unpolitisch war. Als sie
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