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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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erhoben hatte. »Das ist eine Figur der griechischen Mythologie. Schlangenhaar und so. Das macht keinen Sinn.« Er schien zu resignieren. »Diese Frau steht wahrscheinlich unter Schock   …«
    »Nein. Nein! Ich habe eine Ahnung   …« Wencke kramte in den vielen, vielen Informationen, die Peer Wasmuth ihr gestern in Reiseleitermanier erzählt hatte. War nicht auch vom griechischen Ursprung der Stadt und römischen Kaisern die Rede gewesen, von Architektur und   … Mist! Warum hat sie nicht besser zugehört, nichts gespeichert? »Es gibt eine alte Zisterne. Sie soll auf Säulen gestützt sein, die griechischen Ursprungs sind.«
    »Wencke, wie wollen wir die denn finden!«
    »Wasmuth hat gesagt, sie liegt im alten Stadtkern, also hier. Es könnte doch sein, dass sie sich dort versteckt haben.«
    »Aber warum? Wir sollten erst   …«
    »Nein, wir sollten nichts erst, gar nichts. Emil hat nach mir gerufen. Er hat Angst. Wir dürfen keine Sekunde verlieren, Axel. Komm mit!«

… schmerzgelöst   …
    Das Gesicht der Medusa ist so hässlich, dass jeder, der es erblickt, zu Stein erstarrt. Glühende Augen, riesige Zähne, eine heraushängende Zunge und Haare aus sich windenden Schlangen. Nur zu einem taugt das Antlitz der sterblichen Gorgonen: In den Stein eines Hauses gehauen soll sie das Gebäude vor Unheil bewahren, denn selbst Plagen wie Krankheit, Krieg und Armut wenden sich ab vor dieser Scheußlichkeit.
    Unter den Straßen Istanbuls steht ein Medusenhaupt auf dem Kopf, seit fast fünfzehnhundert Jahren schon trägt es die Last des Gewölbes, das
Yerebatan Sarayı
– Versunkener Palast – genannt wird. Es ist der untere Sockel einer Säule, und diese ist nur eine von dreihundertsechsunddreißig Säulen einer uralten Zisterne. Ganz weit hinten in der Ecke des unterirdischen Saals, man muss nur ein paar Stufen hinabgehen, um zur Medusa zu gelangen.
    Ein grüner Stein, halb im Wasser liegend, tote Augen im gedämpften Licht der Scheinwerfer. Dazu erklingt klassische Musik aus Lautsprechern, das tropfende Wasser hat einen eigenen Rhythmus. Dicke Karpfen schwimmen in ihrem steinernen Becken, unbeeindruckt von den Mythen, die über diesen Ort erzählt werden.
    Kein Mensch ist hier. Die Explosion hat alle Besucher an die Oberfläche kommen lassen. Selbst die Kartenverkäufer am Eingang sind verschwunden.
    Der Vater hat gesagt, wir gehen jetzt da rein. Da findet uns niemand.
    Und nun hocken sie neben dem Medusenkopf und warten auf irgendetwas.
    Nur die Tante ist nicht mitgekommen. Sie muss in dem Tumult abhandengekommen sein. Man kann nur hoffen, dass ihr nichts passiert ist. Sie waren so nah dran.
    Der kleine Junge weint. Er ist seiner Mutter begegnet und will zu ihr. Er hat die Polizisten bemerkt, die auf ihn zukamen, mit einem Foto in der Hand, keine Frage, sie waren auf der Suche nach ihm.
    Er hat auch die Frau gesehen, die auf der Wiese stand und geschrien hat, dass alle verschwinden sollen, bloß weg von ihr. Genau wie den Mann, der trotzdem zu ihr gerannt ist, sie umarmt und geküsst hat, bevor sie ihn von sich stieß.
    Die Explosion, die hat er auch gesehen.
    Er weint ganz fürchterlich.
    »Lass ihn doch gehen«, bittet sie ihren Vater.
    »Es ist zu deinem Besten, wenn er bleibt«, erwidert der.
    »Er ist noch so klein. Stell dir vor, jemand würde Azad   …«
    »Sie darf uns nicht finden. Sie wird alles kaputt machen.« Der Vater ist unbelehrbar.
    Rafet hält ihre Hand. Sie hat ihn bei der Flucht mal hinter sich hergezogen, mal ihn geführt. Er hat ihr vertraut. Sind sie schon Mann und Frau? War der Segen des Imam ausreichend, um sie miteinander zu verheiraten?
    Rafet küsst ihre Hand.
    »Wo sind wir eigentlich?«, fragt er.
    Der Vater erklärt es ihm. Rafet nickt und scheint beruhigt.
    Dass er blind ist, hat man damals nach seiner Geburt für eine Strafe Allahs gehalten.
    Für Roza ist es ein Segen. Er kann nichts sehen. Also kann er nicht zu Stein erstarren, wenn er sie ansieht.

21.
    Wencke entdeckte einen hinter Glas ausgehängten Stadtplan, versuchte, die Beschreibungen und Bilder zu enträtseln. Erleichtert stellte sie fest, dass sich der Versunkene Palast tatsächlich nur ein paar Ecken weiter befand.
    Sie überquerten die Straßenbahngleise, liefen an den Restaurants vorbei, wo sich nun kein einziger Kellner mehr darum bemühte, die Sitzplätze zu belegen. Die Wirkung der Bombe hatte weite Kreise gezogen, der ganze Stadtteil schien traumatisiert.
    Obwohl Wencke die Augen offen hielt, wäre sie
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