Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
eingesetzt. Welch eine rührende Geste…!
    Ursprünglich hatten Sie wohl die Absicht, ein ziemlich gemächliches Tempo vorzulegen. Sie würden, so vermute ich, nach Kanada gegangen sein – angeblich wegen des Rückgangs Ihrer Praxis. Dort hätten Sie sich wieder den Namen Richards zugelegt, und Ihre Gattin hätte sich dort mit Ihnen getroffen. Vermutlich wäre Mrs Richards dann binnen kurzem von irgendeiner Krankheit dahingerafft worden, ihr Vermögen einem scheinbar untröstlichen Witwer hinterlassend. Dann wären Sie als Norman Gale, den in Kanada eine glückliche Spekulation zum reichen Mann gemacht hat, nach England zurückgekehrt…! Jetzt aber, nach Anne Morisots heikler Begegnung mit mir, hielten Sie es für angebracht, blitzschnell zu handeln.»
    Während Poirot kurz Atem schöpfte, warf Norman Gale den Kopf in den Nacken und lachte hellauf.
    «Ihre Gabe, die Absichten anderer Leute im Voraus zu wissen, grenzt beinahe an Hellsichtigkeit, Monsieur Poirot!», meinte er spöttisch. «Aber Sie betrachten Ihre Fantasie doch wohl kaum als Beweismaterial, wie?»
    «Vielleicht nicht», gab der Belgier ruhig zurück. «Doch über etwas Beweismaterial verfüge ich schon.»
    «Wirklich?», schnarrte der Zahnarzt. «Haben Sie etwa Beweise dafür, wie ich die alte Giselle tötete, nachdem jeder meiner Mitpassagiere genau weiß, dass ich meinen Platz nicht verließ?»
    «Ich werde Ihnen genau sagen, wie Sie das Verbrechen verübten. Sie befanden sich auf Urlaub, Mr Gale, und nichtsdestoweniger steckte in Ihrer Reisetasche ein weißleinener Mantel von der Art, wie ihn Ärzte und Zahnärzte während der Sprechstunde zu tragen pflegen. Warum führten Sie auf einer Erholungsfahrt einen solchen Mantel mit sich? Warum? Weil er dem Mantel eines Stewards ähnelte…
    Als der Kaffee serviert worden war und die Stewards im anderen Abteil bedienten, begaben Sie sich auf die Toilette, schlüpften in den Leinenmantel, stopften sich Watteröllchen in die Wangen, sodass sie dicker wurden, kamen wieder heraus, ergriffen einen Kaffeelöffel, der in dem Silberkasten der Anrichte lag, und eilten, den Löffel in der Hand, mit dem schnellen Schritt des Stewards den Mittelgang hinab zu Giselles Platz. Sie stachen ihr den Dorn in die Ader, öffneten die Streichholzschachtel und ließen die Wespe fliegen, gingen rasch zurück zur Toilette, wo Sie sich wieder in Norman Gale verwandelten, und schlenderten dann gemächlich auf Ihren Platz zurück. Das Ganze war innerhalb weniger Minuten vollbracht.
    Niemand achtet sonderlich auf einen Steward. Die einzige Person, die Sie hätte erkennen können, war Mademoiselle Jane. Aber Sie kennen die Frauen! Sobald sich eine Frau allein sieht, nutzt sie die Gelegenheit, um einen Blick in den Spiegel zu werfen, sich die Nase zu pudern und vielleicht auch die Lippen einen Hauch röter zu färben.»
    «Höchst interessant!», höhnte Gale. «Nur war es leider nicht so. Sonst noch etwas?»
    «Oh, noch eine Menge! Wie ich vorhin sagte, lässt ein Mensch sich im Laufe der Unterhaltung gehen… Sie waren unklug genug zu erwähnen, dass Sie eine Zeit lang auf einer Farm in Südafrika gearbeitet haben. Das eine erwähnten Sie freilich nicht, nämlich, dass es sich bei dieser Farm um eine Schlangenfarm handelte…»
    Zum ersten Mal zeigte Norman Gale Anzeichen von Furcht. Er versuchte zu sprechen, aber die Zunge versagte ihm den Dienst. Statt seiner sprach Poirot.
    «Sie arbeiteten dort unter Ihrem eigenen Namen Richards. Auf einem Bild, das wir dorthin schickten, hat man Sie wieder erkannt, und anhand dieses Bildes sind Sie auch in Rotterdam als der Mann identifiziert worden, der Anne Morisot heiratete.»
    Mit Norman Gale schien eine Veränderung vorzugehen. Der gut aussehende, stattliche junge Mann wurde zu einem in die Enge getriebenen Geschöpf, das mit gehetztem Blick verstohlen nach einem Fluchtweg spähte und keinen fand… Wohin sollte er sich wenden…?
    «Hast war es, die Ihren Plan zunichtemachte», erklärte Hercule Poirot. «Die Oberin des Institut de Marie beschleunigte die Dinge, indem sie an Anne Morisot telegrafierte. Dies Kabel nicht zu beachten hätte verdächtig ausgesehen. Sie, Norman Gale, verstanden es, Ihrer Frau einzureden, dass einer von Ihnen beiden des Mordes beschuldigt werden würde, wenn sie gewisse Tatsachen nicht verheimlichte. Als Sie Anne dann später in Paris trafen, beschleunigten Sie Ihrerseits die Dinge aus Angst, dass ich Giselles Tochter allzu sehr auf den Zahn fühlen könnte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher