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Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken
Autoren: Agatha Christie
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1
     
    Heiß brannte die Septembersonne auf den Flugplatz Le Bourget, als die Passagiere in die «Prometheus», kletterten, die in wenigen Minuten nach Croydon abfliegen sollte.
    Jane Grey gehörte zu den letzten, die einstiegen und sich auf ihrem Platz, ihrer trug die Nr. 16, niederließen. Etliche Passagiere waren schon durch die Mitteltür – an der winzigen Küche und den beiden Toiletten vorbei – in das Vorderabteil gegangen. Die meisten saßen jetzt bereits, und auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelgangs erhob sich ein lebhaftes Geschnatter, bei dem sich eine schrille, hohe Frauenstimme hervortat. Um Janes Lippen zuckte es leicht – diese Art Stimmen kannte sie zur Genüge.
    «Meine Liebe… ist es denn möglich? Keine Ahnung hatte ich. Wo bitte? Juan les Pins? O ja. Nein nein… Le Pinet. Gewiss, gewiss, es ist immer der alte, nette Kreis… Wir werden zusammensitzen. Das geht nicht? Ah, ich sehe…»
    Und nun erklang eine Männerstimme, etwas fremdartig und sehr höflich: «Mit dem größten Vergnügen, Madame.»
    Jane betrachtete den Sprecher verstohlen aus den Augenwinkeln: ein kleiner, ältlicher Mann mit großem Schnurrbart und eiförmigem Schädel. Er raffte seine Habseligkeiten zusammen und verfügte sich zuvorkommend auf einen rückwärtigen Sitz. Daraufhin drehte Jane ein wenig den Kopf und musterte die beiden Damen, deren unerwartetes Zusammentreffen den Fremden zu der höflichen Geste veranlasst hatte. Durch die Erwähnung von Le Pinet war ihre Neugier erregt worden, denn auch Jane Grey kam aus Le Pinet.
    An die eine der beiden erinnerte sie sich ganz deutlich – erinnerte sich sogar, wie sie sie zuletzt gesehen hatte: am Bakkarattisch, die kleinen Hände nervös ballend und lösend, während das zart geschminkte Gesicht plötzlich glühend rot wurde und dann erblasste. Ob ihr nicht auch noch der Name einfiel? Eine Freundin, als Masseuse in einem Schönheitssalon angestellt, hatte ihn erwähnt und geringschätzig geäußert: «Den Adel verdankt sie ihrer Heirat – ein früheres Revuegirl oder dergleichen!»
    Die zweite Dame aber war «echt», war die typische sportliebende Aristokratin, stellte Jane fest, ehe sie ihre Aufmerksamkeit dem Flugplatz widmete. Verschiedene andere Maschinen standen dort herum, die alle an riesige, metallene Tausendfüßler erinnerten.
    Während Jane durch das Kabinenfenster diese Ungeheuer betrachtete, festigte sich ihr Entschluss, nicht geradeaus zu schauen, wo, ihr gegenüber, ein junger Mann saß, der einen ziemlich grellen grünblauen Pullover trug.
    Mechaniker riefen sich einige französische Worte zu. Die Motoren heulten auf – dämpften ihren Ton – heulten von neuem auf. Das Flugzeug bewegte sich. Unwillkürlich hielt Jane den Atem an. Es war erst ihr zweiter Flug; ihre Aufregung war daher verzeihlich. Barmherziger! Das sah ja aus, als ob sie gleich in jenen Zaun jagen würden…! Aber nein, schon schwebten sie in der Luft, stiegen, stiegen noch höher, schwenkten herum – Le Bourget lag unter ihnen.
    Das Mittagsflugzeug nach Croydon beförderte einundzwanzig Passagiere, zehn im vorderen, elf im hinteren Abteil, dazu zwei Piloten und zwei Stewards. Obwohl das Geräusch der Motoren so stark abgedämpft war, dass man die Ohren nicht mit Watte zu verstopfen brauchte, genügte der Lärm, um die Unterhaltung zu erschweren und das Denken zu ermutigen.
    Ich will ihn nicht angucken, dachte das junge Mädchen. Ich will nicht! Es führt zu nichts. Lieber genieße ich die Aussicht… Oder ich gehe im Geiste noch einmal alles durch, alles, von Anfang an.
    Energisch zwang sie ihre Gedanken zu dem zurück, was sie den Anfang nannte: den Kauf eines Loses der «Irish Sweep». Eine Verschwendung, gewiss, doch eine köstlich prickelnde Verschwendung, die in dem Frisiersalon, in dem Jane mit fünf anderen jungen Damen beschäftigt war, viel Gekicher und viel Neckerei entfesselt hatte.
    «Was willst du tun, wenn du gewinnst, meine Liebe?»
    «Oh, ich wüsste, was ich täte!»
    Pläne… Luftschlösser… eine Menge Spaß.
    Nun, sie hatte ihn nicht gewonnen, den großen Preis. Stattdessen aber hatte sie hundert Pfund gewonnen. Einhundert Pfund!
    «Die Hälfte davon gibst du aus, meine Liebe, und die andere Hälfte sparst du für schlechte Zeiten. Man weiß nie, was die Zukunft bringt.»
    «Ich an deiner Stelle würde mir einen Pelzmantel kaufen einen wirklich schicken und erstklassigen Pelzmantel.»
    «Warum nicht eine Kreuzfahrt?»
    Bei dem Gedanken an eine
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