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Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken
Autoren: Agatha Christie
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Kreuzfahrt hatte Jane geschwankt; doch schließlich war sie ihrer ersten Idee treu geblieben: eine Woche in Le Pinet. So viele ihrer Kundinnen reisten nach Le Pinet, so viele schwärmten davon. Und während Janes geschickte Finger ondulierten, Dauerwellen legten, während ihre Zunge mechanisch die üblichen schmeichelhaften Floskeln plapperte, überlegte ihr Hirn: Warum soll eigentlich nicht auch ich nach Le Pinet fahren?
    Hinsichtlich der Kleidung gab es kaum Schwierigkeiten. Wie die meisten Londoner Mädchen, die in eleganten Geschäften tätig sind, verstand Jane es, mit lächerlich geringen Mitteln, den Anforderungen der Mode gerecht zu werden. Nägel, Make-up und Haar waren einwandfrei.
    Jane reiste also nach Le Pinet.
    Und jene Tage dort sollten jetzt, in ihren Gedanken, zu einem einzigen Vorfall zusammengeschrumpft sein?
    Ein Vorfall am Rouletttisch. Jeden Abend erlaubte sie sich eine gewisse Summe für das Spiel, entschlossen, diese niemals zu überschreiten. Leider aber zeigte sich, im Gegensatz zu dem vorherrschenden Aberglauben, das Glück der Anfängerin nicht hold. Am vierten Abend hatte sie zwar etwas gewonnen, aber mehr noch verloren. Nun wartete sie, ihren letzten Einsatz in der Hand. Auf zwei Nummern, die Fünf und die Sechs, hatte niemand gesetzt. Ob sie es wagte…? Aber was – fünf oder sechs? Ah, ihr Gefühl sprach für die Fünf. Jane streckte die Hand aus und – setzte auf die Sechs. Gerade noch rechtzeitig setzte ein Spieler ihr gegenüber auf die Fünf.
    «Rien ne va plus», sagte der Croupier.
    Die Kugel klapperte, blieb liegen.
    «Le numéro cinq, rouge, impair, manque.»
    Beinahe hätte Jane vor Bestürzung aufgeschrien. Der Croupier raffte die Einsätze fort und zahlte aus.
    «Wollen Sie Ihren Gewinn nicht an sich nehmen?», fragte Janes Gegenüber.
    «Meinen?»
    «Ja.»
    «Ich hatte doch auf die Sechs gesetzt.»
    «Verzeihung, Sie irren. Ich setzte auf Sechs und Sie auf Fünf.» Er lächelte – ein sehr anziehendes Lächeln. Weiße Zähne blitzten in einem braun gebrannten Gesicht, darüber blaue Augen und kurzes, leicht gewelltes Haar.
    Halb ungläubig stopfte Jane den Gewinn in ihre Tasche. Sagte er die Wahrheit? Hatte sie tatsächlich auf die Fünf gesetzt? Verwirrt, zweifelnd sah sie den Fremden an, der unbefangen zurücklächelte.
    «Einen hübschen Gewinn liegen lassen, bis jemand anders ihn sich aneignet, der kein Recht darauf hat? Das ist ein alter Trick.»
    Dann war er mit einem leichten, freundlichen Nicken aufgestanden und fortgegangen. Auch das gefiel ihr. Er hatte ihr nicht einen Gewinn zugeschanzt, um dadurch eine Bekanntschaft anzuknüpfen. Nein, zu dieser Sorte von Männern gehörte er nicht. Er war nett… Und nun saß er ihr wahrhaftig gegenüber.
    Dann folgten auf das Faulenzerdasein in Le Pinet noch zwei ziemlich enttäuschende Tage in Paris, und jetzt endlich ging’s wieder zurück nachhause.
    Was weiter?
    Stopp, befahl Jane sich selbst. Nicht daran denken, was weiter geschehen wird. Das ist nur quälend.
    Die beiden Damen hatten ihre Unterhaltung unterbrochen. Verdrießlich betrachtete die zart Geschminkte einen eingerissenen Fingernagel, läutete schließlich und befahl, als der mit einem weißen Mantel bekleidete Steward erschien:
    «Schicken Sie mir meine Zofe. Sie sitzt im anderen Abteil.»
    «Sofort, Mylady.»
    Sehr ehrerbietig, sehr schnell und geräuschlos verschwand der Steward wieder, und kurz darauf tauchte die Gestalt einer brünetten, schwarz gekleideten Französin auf.
    «Madeleine», rief Lady Horbury ihr zu, «ich brauche mein rotes Saffian-Nessessär.»
    Die Zofe durchschritt den Mittelgang, um zum äußeren Ende des Flugzeugs zu gelangen, wo Handtaschen und Decken aufgestapelt lagen, und brachte ihrer Herrin das Verlangte.
    «Danke, Madeleine, ich behalte das Köfferchen hier.»
    Damit entließ sie das Mädchen. Der Kofferdeckel schnappte auf, und Lady Cicely Horbury entnahm dem luxuriösen Innern eine Nagelfeile. Dann prüfte sie in einem silbernen Spiegel lange und ernst ihr Gesicht und gab ihm durch einen Hauch Puder und einen Strich mit dem Lippenstift neue Frische.
    Janes Mund kräuselte sich verächtlich, und ihr Blick wanderte weiter das Abteil entlang.
    Hinter den beiden Frauen hockte der kleine Ausländer, der seinen Platz der sehnigen Sportlerin abgetreten hatte. Dick in überflüssige Halstücher und Schals vermummt, schien er fest zu schlafen. Jetzt öffnete er, vielleicht Janes forschenden Blick fühlend, seine Augen, schaute das
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