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Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken
Autoren: Agatha Christie
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junge Mädchen eine Sekunde lang an und ließ die Lider wieder herabfallen. Neben ihm saß ein großer, ergrauter Mann mit strengen Zügen. Er hatte einen Flötenkasten offen vor sich stehen und polierte das Instrument mit liebevoller Sorgfalt. Drollig, dachte Jane Grey, er sieht eher aus wie ein Rechtsanwalt oder Arzt, gar nicht wie ein Musiker!
    Hinter diesen beiden sprachen und gestikulierten zwei lebhafte Franzosen, ein bärtiger älterer und ein bedeutend jüngerer. Vielleicht Vater und Sohn?
    Auf Janes eigener Seite versperrte der Mann im grünblauen Pullover ihr die Aussicht, jener Mann, dem sie aus irgendeinem ihr selbst unverständlichen Grund nicht in die Augen zu blicken wünschte.
    Zu blöd, dieses Herzklopfen!, schalt sie sich. Gerade, als ob ich ein siebzehnjähriges Gänschen wäre!
    Ihr gegenüber aber sinnierte Norman Gale: Sie ist hübsch, wirklich hübsch. Und sie erinnert sich meiner sehr gut. Welche Enttäuschung malte sich auf ihren Zügen, als ihr Einsatz fortgeharkt wurde. Es hätte ruhig mehr kosten dürfen, ihr die Freude des Gewinnens zu bereiten. Übrigens machte ich es recht geschickt… Wenn sie lächelt, ist sie besonders reizend. Gesundes Aussehen, makellose Zähne… Hol’s der Teufel – ich bin ganz aus dem Häuschen! Ruhe, Ruhe, mein Junge…
    Und zu dem Steward gewandt, der neben ihm mit der Menükarte wartete, sagte er: «Kalte Zunge, bitte.»
    Gräfin Horbury dachte: Mein Gott, was soll ich anfangen? Ich sitze ganz schön in der Patsche! Meines Erachtens gibt es nur einen einzigen Ausweg. Wenn ich nur die Kraft dazu hätte…! Meine Nerven sind völlig kaputt. Das macht das Kokain. Warum habe ich nur je Kokain genommen? Scheußlich sieht mein Gesicht aus, einfach scheußlich. Und dass diese falsche Katze, diese Venetia Kerr, hier ist, macht die Sache noch schlimmer. Sie sieht mich immer an, als sei ich der letzte Dreck. Spekulierte selbst auf Stephen. Nun, sie hat ihn nicht bekommen. Puh, ihr langes Gesicht geht mir auf die Nerven. Es gleicht dem eines Pferdes. Ich hasse diese adligen Landpomeranzen. Mein Gott, was soll ich nur tun? Ich muss mich zu einem Entschluss durchringen, denn der alten Hexe war es bitterernst…
    Fahrig kramte sie in ihrem Täschchen, bis sie eine Zigarette gefunden hatte, die sie mit leicht zitternder Hand in eine lange Spitze steckte.
    Die blaublütige Venetia Kerr neben ihr dachte arrogant: Verdammte kleine Schlampe. Wenn sich der arme, gute Stephen ihrer nur entledigen könnte!
    Auch sie holte ihr Zigarettenetui hervor und nahm Cicely Horburys Streichholz huldvoll an.
    «Verzeihung, meine Damen», mischte sich da der Steward ein, «Rauchen ist verboten.»
    «Verdammt!», fluchte Cicely Horbury.
    Derweilen überlegte Hercule Poirot: Weshalb ist die niedliche Kleine, deren Kinn so viel Entschlossenheit bekundet, wohl so niedergeschlagen? Warum vermeidet sie es hartnäckig, den stattlichen jungen Mann ihr gegenüber anzusehen, obwohl sie seine Gegenwart ebenso stark empfindet wie er die ihrige…?
    Das Flugzeug vollführte einen leichten Hopser.
    «Mon estomac!», jammerte Poirot kaum hörbar und schloss rasch die Augen.
    Sein Nachbar, Dr. Bryant, liebkoste die Flöte noch immer mit nervösen Händen. «Ich kann mich nicht entscheiden», murmelte er verzweifelt. «Beim besten Willen nicht. Ich bin am Wendepunkt meiner Laufbahn angelangt… Musik! Musik befreit von allen Sorgen!» Halb lächelnd hob er die Flöte an die Lippen und legte sie wieder in ihren Kasten zurück.
    Der kleine Mann neben ihm, der jedem durch seinen gewaltigen Schnurrbart auffallen musste, war in tiefen Schlaf gesunken, nachdem bei der plötzlichen Bewegung des Flugzeugs sich sein Gesicht mit einem grünlichen Schimmer überzogen hatte. Und Dr. Bryant freute sich, dass er weder See- noch Luftkrankheit kannte.
    Hitzig drehte sich Monsieur Dupont auf seinem Platz halb um und packte den Arm seines Sohnes.
    «Es besteht gar kein Zweifel. Sie haben alle unrecht – die Deutschen, die Amerikaner und die Briten. Sie datieren die prähistorische Keramik alle falsch. Nimm das Samarra-Geschirr…»
    Jean Dupont, groß, blond, erwiderte mit gespieltem Gleichmut:
    «Du musst die Beweise aus allen Quellen schöpfen, Vater. Da ist Tell Halaf und Sakje Geuze…»
    Sie diskutierten weiter, und schließlich plagte sich Armand Dupont, einen arg verbeulten Handkoffer zu öffnen.
    «Hier… sieh dir diese kurdischen Pfeifen an, die man heutzutage anfertigt. Ihre Ornamente sind beinahe die nämlichen
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