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Rosen für eine Leiche (German Edition)

Rosen für eine Leiche (German Edition)

Titel: Rosen für eine Leiche (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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EINS
    Die beiden Leichen wurden an den Strand getrieben, als
Liebermanns Biergarten voller Menschen war. Alles hätte ich in dieser Stunde
erwartet, nur keine Leichen. Ich saß allein an einem Tisch mit Blick auf den
Chiemsee, ein Glas Weißbier vor mir. Die Hitze des Tages durchwanderte gerade
den frühen Abend, über meiner Bauchgegend hatten sich nasse Flecken auf dem
gelben Poloshirt gebildet. Es war einer jener schwülen Frühsommertage im
Rosenheimer Land, die einem zu schaffen machen. Etwas Trostloses lag in der
Art, wie sich die Hitze gegen jede Bewegung wehrte. Es herrschte eine
bedrückende Stimmung.
    Unter der Terrasse zum See hin und entlang der seitlichen Hauswände
wuchsen Rhododendronbüsche, die in voller Blüte standen; die Hortensien
schwangen sich gerade dazu auf – ein Anblick wie aus einem
Rosamunde-Pilcher-Film. Grüne und rote Boote lagerten kieloben am Ufersaum; sie
sahen aus wie schlafende Seekühe. Das Blattwerk der alten Eichen säuselte
leise, Zeichen einer Abendbrise, die man darunter im Biergarten nicht spürte.
Links vom See die Kampenwand, noch mit Schnee im zerklüfteten Fels, den die
Sonne langsam rosa färbte. Die Autobahn darunter rauschte leicht.
    In der Nacht hatte es gestürmt. Obwohl die Brise nun wieder
auffrischte, vibrierte die Luft und sang in hoher Frequenz. Alle Schnaken der
Gegend waren aus dem Schilf gekrochen und wuselten um mich herum. Sie ließen
sich an den freien Flecken meines Körpers nieder und begannen hartnäckig, mich
auszusaugen. Zur Gegenwehr hatte ich nur den Spray aus der Dose, die Liebermann
auf jeden einzelnen der Tische postiert hatte. Anstatt zu sprühen, hätte ich
mit dem Ding auch werfen können – es hätte genauso wenig geholfen.
    Am Anfang hatte ich nur einen schwarzen Punkt gesehen. Die Dünung
des Chiemsees trug ihn aus Richtung Fraueninsel herüber. Als der Punkt zum
Strich wurde, hielt ich ihn zuerst für ein Stück Holz oder ein Kleidungsstück,
das im Wasser trieb. Dann erkannte ich eine Form.
    »Tach, Ottakring.«
    Eine schwere Hand legte sich auf meine Schulter.
    »Ham Se eine Rauchbombe nötich?«
    Liebermann in seiner viel zu warmen Jägerkluft ragte neben mir
empor. Er blickte zufrieden auf seine Stiefelspitzen. Sein Gasthaus brummte. Er
bezeichnete sich als Mischlingsbayer, stammte ursprünglich aus Westfalen.
Früher war er Opernsänger gewesen, Bariton. Von seinen Einkünften hatte er sich
dieses Wirtshaus am südöstlichen Chiemseeufer gekauft, Stück für Stück
renoviert und einen Biergarten direkt ans Wasser gesetzt.
    »Rauchbombe? Wenn’s hilft, absolut«, sagte ich und nahm die Zigarre,
die er mir hinhielt. Ich steckte sie mir an, drückte mit der ersten Rauchwolke,
die ich ausstieß, einen Schwarm Schnaken gegen die Tischplatte und schlug mit
der flachen Hand zu. Blut spritzte. Wahrscheinlich meines. Eine Frau am
Nebentisch tat entsetzt. Ich blies, ohne hinzusehen, den Rauch meines zweiten
Zugs aus dem Mundwinkel in ihre Richtung.
    »Schauen Sie mal«, sagte ich zu Liebermann. Meine Hand zeigte auf
das Treibgut.
    Liebermann schaute aufs Wasser hinaus.
    Für eine Minute schwiegen wir.
    »Das ist ein Boot, nich?«, sagte Liebermann.
    Ein Hund kam von irgendwoher. Mittelgroß, schwarz, wuscheliges Fell,
lange, abgeklappte Ohren und ein Blick, treuer als ein Schaf – nur
wesentlich intelligenter.
    Ich wollte auch gern einen Hund haben. Jetzt wartete ich darauf,
dass dieser sich setzte. Doch er blieb stehen, mit den Pfoten im seichten
Wasser, wedelte unschlüssig mit dem Schwanz und blickte hinaus.
    Wie das herantreibende Boot da auf den schwachen Wellen schaukelte,
ähnelte es einem Schwimmer, der im Wasser die Luft anhält und den toten Mann
markiert.
    »Das ist ein Kahn«, sagte ich. »Ein ruderloser Kahn.«
    Ich löschte sorgfältig die Zigarre, stand auf und lehnte mich neben
Liebermann an einen Baum.
    Der Hund tappte durchs seichte Wasser, dann schwamm er hinaus, dem
gemächlich anlandenden Kahn entgegen. Offenbar vermisste niemand den schwarzen
Kerl. Ob es ein Vergehen war, ihn einfach mitzunehmen?
    Kein Mensch hätte der ganzen Sache weitere Aufmerksamkeit geschenkt,
wäre die Ankunft des Kahns nicht vom Zischen zweier Schwäne und dem Gekläff des
Hundes begleitet worden, der mit dem Kahn zurück an den Strand geschwommen kam
und jetzt aufgeregt darum herumplanschte. Etwas stimmte nicht. Ich zog
Liebermann zum Wasser. Es handelte sich um ein gewöhnliches Ruderboot, wie man
es zu Ausflügen auf dem See oder zum
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