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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor
Autoren: Michael Siefener
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musste. Seitdem hatte sich Andreas darauf gefreut, im
jüngst erschienenen »Fortalitium fidei« des
Alphonsus de Spina zu lesen, das Hülshout aus eigenen
Mitteln während Andreas’ Abwesenheit angeschafft
hatte, wie der Pastor ihm kurz nach der Begrüßung
stolz mitgeteilt hatte. Gern hätte sich Andreas noch heute
mit den Kapiteln über die Umtriebe des Teufels
beschäftigt, über die er in Bologna so viel gehört
hatte und denen er so wenig Glauben zu schenken vermochte. Doch
das musste warten.
    Der Besucher wartete im Wohnraum des ersten Stockes auf
ihn.
    Nachdem sich Andreas Bergheim gereckt und gestreckt und einen
weiteren kleinen Seufzer ausgestoßen hatte, stand er auf,
verließ seine Schlafstube und ging über die knarrenden
Holzdielen nach nebenan.
    Als er die Tür zum Wohnraum öffnete, stutzte er. Er
hatte eines seiner Pfarrkinder erwartet, nicht aber diese Frau,
die auf einem Dreifuß neben dem Fenster saß, das nach
hinten hinauswies.
    »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches, Elisabeth
Bonenberg?«, fragte Andreas.
    Die Bonenbergerin erhob sich. Über ihr zartes, junges
Gesicht flog ein Lächeln. Die grünen Augen glitzerten
im Licht der schräg durch die Butzenscheiben einfallenden
Sonnenstrahlen. Das sanfte Gesicht mit dem kleinen, aber vollen
Mund drückte zugleich Freude und Wehmut aus. Es war, als
lächele das Gespenst eines lieben Freundes.
    Andreas fühlte sich in Elisabeths Gegenwart stets ein
wenig unwohl. Mit vorsichtigen Schritten ging er auf sie zu und
streckte ihr die Hand entgegen. Elisabeth ergriff sie,
drückte sie fest, hielt aber gebührenden Abstand zu dem
Geistlichen. Dann ließ sie die Hand wieder los, strich mit
einer mechanischen Bewegung über die perlenbestickte Haube
und wich einen Schritt zurück. Wie immer trug sie ein
hochgeschlossenes Kleid, doch ihrer Züchtigkeit haftete
gleichzeitig etwas Zügelloses an, wie Andreas fand.
    Elisabeth betrachtete ihn eine Weile. Ihr Blick war tief,
rätselhaft, verschleiert. »Ich habe Euch etwas
Schreckliches mitzuteilen«, sagte sie schließlich mit
ihrer leisen, so sanften Stimme, bei der Andreas immer an die
spielerische Berührung kostbarer Seide denken musste.
    »Ludwig Leyendecker ist tot.«
    Andreas fühlte sich, als habe ihn der Schlag getroffen.
Die Beine drohten nachzugeben; er machte ein paar Schritte zur
Kastentruhe, in der Hülshout und er die Tischwäsche
aufbewahrten, und ließ sich schwer darauf nieder.
    »Ludwig?« Er schüttelte den Kopf. »Das
kann nicht sein.«
    Elisabeth Bonenberg setzte sich wieder auf den Dreifuß
und hielt die langen, dünnen Hände vor das Gesicht.
»Es ist wahr«, sagte sie gepresst. »Man sagt,
er habe sich das Leben genommen.«
    »Nein. Das ist unmöglich. Nicht Ludwig.«
    Elisabeths Bruder Ludwig war ein fröhlicher, herzensguter
Mann, der nie an böser Galle gelitten hatte. Andreas kannte
ihn aus seiner Zeit im Kölner Priesterseminar, wo Ludwig und
er so manchen Scholastiker studiert und viele Humpen Bier und
Wein geleert hatten. Ludwig hatte nur wenig Freude an der
Theologie gehabt, doch Hans Leyendecker, sein einflussreicher
Vater, hatte Ludwigs älteren Bruder Georg zur
Fortführung des Weinhandelshauses bestimmt, mit dem die
Familie Leyendecker viele Generationen hindurch ihr großes
Vermögen gemacht hatte. Für Ludwig war wegen eines
Gelöbnisses seiner früh verstorbenen Mutter, einen
ihrer Söhne Gott zu weihen, nur das Priesteramt geblieben
– das Pfaffentum, wie er es immer genannt hatte. Wein,
Bier, gelegentlich eine Dirne, aber vor allem die Freundschaft zu
Andreas hatten ihm das Studium erträglich gemacht. Andreas
hatte zwar Leib und Seele seinem über alles verehrten Gott
verschrieben, darüber aber die Genüsse dieser Welt
nicht vergessen. Ludwig war ein guter Theologe und Disputierer
gewesen, ja, er wäre sogar beinahe zum Doktor promoviert
worden. Aber Gott in Gestalt des unabwendbaren Schicksals hatte
anderes für ihn geplant.
    Elisabeth schluchzte und nahm die Hände vom Gesicht. Ihre
Augen waren verweint. Grüne Teiche, in die der Regen fiel.
Sie tat Andreas Leid, und zu seinem eigenen Erstaunen
verspürte er den Drang, sie in die Arme zu schließen
und ihr sanft über das seidige, blonde Haar zu streichen.
»Man hat ihn erhängt auf dem Dachspeicher gefunden.
Und er hat einen eigenhändigen Abschiedsbrief
hinterlassen.«
    Erhängt! Was für ein schmachvoller Tod! Andreas
lehnte sich auf der
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