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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor
Autoren: Michael Siefener
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sich hinter dem Turm von Sankt
Kolumba, der einen langen Schatten warf. Ein Rabe flog aus einem
der alten Apfelbäume auf, die hinter der Mauer des Kirchhofs
standen, und krächzte seinen Abendgruß über die
Stadt.
    »Ich auch nicht. Deshalb bin ich zu Euch gekommen. Ich
weiß, wie gute Freunde Ihr und Ludwig wart. Und ich
weiß, dass Ihr alles tun werdet, um herauszufinden, was
diese Tragödie verursacht hat.«
    Andreas schlang die Arme um sein schwarzes Priestergewand. Ihn
fröstelte. Der Turm von Sankt Kolumba, schwarz vor der
untergehenden Sonne, erschien ihm wie ein Finger, der geradewegs
in den Himmel wies.
    Oder vor der Hölle warnte.
    »Wie geht es seiner Frau?«, fragte Andreas nach
einer Weile, während der beide schweigend vor dem Grab
gestanden hatten.
    Elisabeth warf den Kopf in den Nacken. »Barbara? Was
erwartet Ihr? Eine trauernde Witwe? Sie ist für mich der
einzige Grund, aus dem mein Bruder hätte Selbstmord begehen
können.«
    Andreas nickte gedankenverloren. Er teilte Elisabeths heftige
Abneigung gegen ihre Schwägerin nicht, doch auch er hatte
sich immer gefragt, was Ludwig an dieser Frau fand. Sie war sehr
lebenslustig, aber auf eine andere Art als ihr Gatte. Auf eine
dunklere, wildere, gierigere Art. Vier Jahre waren sie
verheiratet gewesen, aber ihre Verbindung war nicht mit einem
Kind gesegnet worden. Barbara Leyendecker hatte das viele Geld
genossen, das ihr Gemahl erwirtschaftete. Und manchmal hatte sich
Andreas gefragt, ob es stimmte, dass sie neben den materiellen
Freuden auch andere, körperliche, verbotene genossen hatte,
die sie sich fern von ihrem Mann verschaffte.
    »Sie hat es nicht verdient, dass Ihr so über sie
redet«, entgegnete er Elisabeth.
    Deren grüne Augen blitzten ihn an. Sie zog ihr
hochgeschlossenes Kleid am Kragen noch etwas enger und zischte:
»Diese Hure hat meinen Bruder auf dem Gewissen – auf
die eine oder andere Art.«
    »Wie meint Ihr das?« Andreas wandte den Blick von
der Frau neben ihm ab. Sie war ihm mit ihrer tiefen
Empfindungsfähigkeit, ihrer verwirrenden Schönheit und
ihrer harten Entschlossenheit so unheimlich wie keine andere
Frau, der er je begegnet war.
    »Ich kann es mir nur so erklären, dass sie die
Finger im Spiel hatte. Wie ich Euch schon sagte, hat Ludwig einen
Abschiedsbrief hinterlassen. Ihr werdet nie darauf kommen,
welchen Grund er für seinen Freitod angibt.«
    Andreas sah Elisabeth fragend von der Seite an. Sie war
beinahe so groß wie er und stellte sich noch aufrechter hin
und holte seufzend Luft, als müsse sie sich sammeln. Dann
sagte sie:
    »Er schrieb, er habe sich umgebracht, weil er mit dem
Teufel im Bunde stehe.«
    Der Rabe kehrte in den Apfelbaum zurück. Sein
Krächzen hallte von den alten, aufgebrochenen Kirchenmauern
wider.

 
ZWEI
     
     
    Andreas traute seinen Ohren nicht. »Ein Pakt mit dem
Teufel? Ludwig?«
    »In seinem Abschiedsbrief hat er davon berichtet.
Zumindest hat das seine Frau gesagt.«
    Andreas wandte sich vom Grab ab und warf einen Blick auf das
Pfarrhaus, dessen Fenster wie leere Augenhöhlen auf die
beiden einsamen Menschen im Kirchhof starrten. »Warum hat
er dann überhaupt ein Begräbnis erhalten?«,
fragte er verwundert. »Warum wurde er nicht auf den
Scheiterhaufen geworfen und seine Asche in alle Winde verstreut,
wie es bei Teufelsanhängern üblich ist?«
    »Nun, er war Ratsmitglied, und seine Frau hat alles
getan, damit er bestattet wird – um der Ehre der Familie
willen.«
    »Gibt es eine Untersuchung dieses Falles?«
    Elisabeth drehte dem Grab nun ebenfalls den Rücken zu und
zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
    »Wo befindet sich der Abschiedsbrief?«, wollte
Andreas wissen.
    »Ich habe keine Ahnung. Ludwigs Frau hat mir nur gesagt,
dass ein Geistlicher ihn an sich genommen hat.«
    Oben, im ersten Stock des Pfarrhauses, sah Andreas
plötzlich einen Schemen hinter dem Fenster des Wohnraumes
stehen. Pfarrer Hülshout musste aus der Universität
zurückgekehrt sein. Vielleicht wusste er mehr als
Elisabeth.
    »Werdet Ihr mir helfen?«, fragte sie und sah ihn
an. In der heraufziehenden Dämmerung leuchteten ihre
grünen Augen wie zwei Kerzen, während ihr schmales,
schönes Gesicht allmählich von den Schatten verzehrt
wurde.
    »Wie sollte ich Euch helfen können?«, fragte
Andreas zurück, doch in seinen Gedanken schmiedete er
bereits Pläne, wie er an den Abschiedsbrief seines Freundes
heranzukommen
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