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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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maßlos und blind.
    Im Spiegel des kleinen Waschraums der Tankstelle, auf die ich abgebogen war, sah ich, daß ich ziemlich viel abbekommen hatte. Als ich meine Schläfen unter das kalte Wasser hielt, lief mir der Schmerz in immer neuen Wellen durch den Kopf. Einen Augenblick lang glaubte ich, ohnmächtig zu werden, und doch sah ich alles wie vergrößert. Die Blutspritzer im Waschbecken erinnerten mich an das Clownskostüm, in das mich Mutter einmal zu Fasching gesteckt hatte, und an den pudrigen Geschmack der Schminke, die ich mir im Konfetti-Regen in der Turnhalle enttäuscht von der Oberlippe geleckt hatte. Ich wollte Indianer sein, weil alle meine Freunde als Indianer gingen und nur Mädchen sich als Clowns verkleideten.
    Dann wurde mir schlecht, und der metallische Blutgeschmack mischte sich mit dem, was mir sauer die Kehle hochstieg und aus dem Mund schoß. Im Auto erzählte mir Leni, mein Würgen hätte seltsam geklungen, da drinnen, ich hätte mehr geweint als gekotzt.
    Daß sie mit mir sprach, beruhigte mich, denn nun, dachte ich, konnte unsere Fahrt wirklich beginnen.

FÜNF
    »Ich muß etwas trinken«, sagte ich zu Leni, während wir an einem kleinen See vorbeifuhren, auf dem Surfer in Neoprenanzügen auf ihren Brettern balancierten, vorbei an versprengten Gehöften und einer rot angestrichenen Windmühle, deren Blätter silberfarben in der Mittagssonne glänzten. »Ich brauche irgend etwas, um den Blutgeschmack aus dem Mund zu kriegen.« Doch sie erwiderte nur: »Du mußtest dich ja unbedingt schlagen!«
    Einmal sahen wir am Horizont einen Zeppelin mit der Aufschrift Goodyear. Als Zwölfjähriger hatte ich im Herbst selbstgebaute Drachen steigen lassen, hinauf in die Oktoberwinde, die sie hin- und herwarfen, und gemeinsam mit den anderen Jungen gebannt in die Höhe gestarrt, als ein Zeppelin droben am lichten Himmel vorüberzog und sein gewaltiger Schatten sich minutenlang über uns legte. Dabei hatte er so greifbar nah, so unwirklich groß gewirkt wie ein Walfisch, derschlafend auf dem Meer dahintreibt, ein freundlicher Riese, mit dem verglichen unsere Drachen wie gegen die Strömung ankämpfende winzige Fische erschienen.
    Und kniff man die Augenlider zusammen, meinte man, unten in der Führerkabine stecknadelkopfgroße Wesen zu erkennen, die ausgelassen lachten.
    Lustlos drehte ich den Sender-Knopf des Radios, doch immer wieder fing ich nur holländisch sprechende Stimmen ein. In den Feldern wogten die prallen Ähren geschmeidig im Wind. Um einen Hochspannungsmast kreisten Vögel. Genervt drückte ich eine von den alten Kassetten in den Rekorder.
    An dem eingezäunten Gelände eines Tierheims vorbei rollte der Wagen von der asphaltierten Straße einen schmalen, lehmverschmierten Feldweg zu einem Fluß hinunter. Zweige schlugen kratzend gegen die Scheiben, in den Zwingern sprangen die Hunde bellend gegen die Gitter.
    Möwen flogen über dem Wasser. Sie mußten vom nahen Kanal, den wir kurz zuvor erblickt hatten, herübergezogen sein. Die Schnauze des Datsuns stieß mit einem letzten Ruck tief in die Brennesseln bis fast ans Ufer. Wir rissen die Türen auf.
    Paare lagen unter den Trauerweiden, deren Äste bis auf die Erde reichten. Übermütig warf sich Leni ins Gras. Zwei Mädchen in Shorts und mit roten Baseballkappen spielten Federball. Auf einem hellblauenLiegestuhl, etwas abseits, lag eine Frau mit hochgesteckten Haaren und sehr schönen Beinen. Sie sonnte sich mit geschlossenen Augen. Ihr schneeweißer Bikini ließ ihre Haut noch heller erscheinen. Ich mußte immer wieder zu ihr hinübersehen. In unserer Nähe wendete ein Mann, nur mit einer Badehose bekleidet, Würstchen auf einem Grill. Genüßlich paffte er dabei eine Zigarre. Es roch nach verbrannter Holzkohle und Knoblauch. Hinter ihm auf einer Decke krabbelte ein Säugling quiekend in die Arme seiner Mutter.
    Über die dichten Brombeerstauden surrten dunkelblau funkelnde Libellen, dazu erklang das Geräusch von klapperndem Geschirr. In den im Wind zitternden, trockenen Grashalmspitzen glitzerte das Licht, als seien sie lackiert oder mit Wasser besprüht.
    Irgendwann rollte ein Eiswagen den Weg herunter, und sogleich versammelte sich eine Handvoll Spaziergänger um den bunt bemalten VW-Bus, auf dessen Dach ein italienisches Fähnchen wehte. Am Himmel türmten sich Schönwetterwolken, und immer wieder kreuzten Radfahrer meinen Blick, wie ich so dalag im Gras und Leni sich die Haare aus dem Gesicht strich. Zufrieden leckte sie im Halbschatten
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