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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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an ihrem tropfenden Eis.
    Später sammelten wir am abschüssigen Flußufer flache Steine, wie wir es als Kinder am Main immer gemacht hatten, um sie über die windgekräuselte Wasseroberflächehüpfen und tanzen zu lassen. Löwenzahnsamen segelten durch die Luft.
    Den Rest des Nachmittags verdöste ich im Gras, während Leni mit unserem Toastbrot die Schwäne fütterte. Die Ferienstimmung am Fluß besänftigte mich. Gedankenverloren drehte Leni neben mir abgerissene Halme, auf denen sie zuvor erfolglos versucht hatte, das Schreien eines Vogels zu imitieren, indem sie sie zwischen die Daumen klemmte und in den engen Schlitz blies. Auf meine Lider senkte sich das Blau des Himmels.
    Bald war das weiße Nachmittagslicht einer dunkleren, honigfarbenen Tönung gewichen. Brach es durch die dichten Äste der Weiden, sprenkelte es momentelang das schattige Gras mit hunderttausend hellen Flecken. Durch Lenis Haar strich der Wind.
    Als ich wenig später hinter der Flußbiegung den Kiosk mit den aus Beton errichteten Tischtennisplatten entdeckte, drängte mich Leni, nach Schlägern und Bällen zu fragen. Und tatsächlich schob mir der Kioskbetreiber beides mit einer knappen Handbewegung hin, ein untersetzter Mann mit einem viereckigen, geröteten Gesicht und einem gezwirbelten, weißen Schnurrbart.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gespielt haben. Zuletzt konnte man in der Dunkelheit den Ball nur noch erahnen. Leni keuchte bei jedem Schlag, doch aufhören wollte sie nicht. Als Mädchen war sie eine sehrgute Spielerin gewesen. Anfangs hatte sie auch im Heim noch gespielt, einmal sogar gegen die Kreismeisterin, der sie nur knapp unterlag. Und tatsächlich hatte sie zu meiner Überraschung von ihrer Fähigkeit, die Bälle heimtückisch anzuschneiden, kaum etwas verlernt. Wie Gespenster schlugen wir in der Finsternis nach den Bällen. Unten schillerte im Schein der Glühbirnen der Fluß.
    Heute spukt das monotone Pingpong noch manchmal durch meine Träume oder Gedanken, wenn ich in meinen Erinnerungen zu dem Häuschen mit den Holzbänken, den Glühbirnen und zu unserem damaligen Dämmerspiel zurückkehre.
    Ich hatte beschlossen, daß wir über Nacht hierbleiben würden. Und nachdem ich die Schläger zurückgegeben hatte, bestellte ich uns zwei Portionen Würstchen mit Kartoffelsalat, Bier und Cola. Zwischen der Überdachung, unter der wir saßen, und einer Birke spannte sich eine Kette bunter Glühbirnen, um die kleine Nachtfalter schwirrten. Rot-blau-gelb, rot-blau-gelb, rot-blau-gelb. Drinnen spielte leise Musik.
    In unsere Decken eingewickelt, legten wir uns wenig später im Schutz des Wagens an der Uferböschung ins hohe Gras. Die Luft roch käsig nach Schafgarbe. Auf der gegenüberliegenden Seite fuhren Autos durch die Nacht. Alle Farben waren verschwunden. Über uns funkelten die Sterne.

SECHS
    Lag ich früher bei geöffnetem Fenster nachmittags in meinem Zimmer auf Vaters alter Klappcouch, das Tschilpen der Vögel drang zu mir herein und die Luft begann nach dem sich langsam erwärmenden Asphalt zu riechen, dann trieb ich wie auf offenem Meer – allein und doch geborgen.
    Mutter hörte nebenan ihre Klassikplatten, meistens »Die Entführung aus dem Serail«, und die sich in der Glasscheibe spiegelnden Kastanien schienen sich im leichten Wind wie im Rhythmus der Streicher zu wiegen. In solchen Momenten legten sich meine Erinnerungsbilder über die Anwesenheit des frühen Sommers, und mir war, als könnte ich mit ausgestreckter Hand nach all dem greifen, was da vor meinen Augen heraufkam und ganz langsam vorüberzog.
    Dann dachte ich an Leni und mich und daran, wie wir alle mit Onkel Viktors rotem Opel Rekord über endlose schwedische Autobahnen gefahren waren, umAntonia in Oslo zu besuchen, und uns jedesmal freudig ansahen, wenn wir wieder von einem dieser buckligen Volvos überholt wurden.
    Vater war zu Hause geblieben. So wie er Mutter kampflos Onkel Viktor überlassen hatte, zog er auch hier einmal mehr die Sicherheit seiner Arbeit in der Bank seinen väterlichen Verpflichtungen vor. Sein Versagertum, seine Schwächlichkeit verbarg er zeitlebens hinter einer Überkorrektheit, einer peniblen, duckmäuserischen Untergebenheit, die ihn in seiner Bank auf der Stelle treten und Mutter resignieren ließ. Mehr als die Fassade, die schlecht sitzende Maske eines Vaters, hatte er nicht zu bieten. Daß Mutter ihn irgendwann aufgab und in Onkel Viktors Arme überlief, schien seinem Begehren nach Verflüchtigung nur
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