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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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Ticken des Weckers lauschte, nicht selten verzweifelt. Ängste suchten ihn heim, schlimmste Ahnungen und Visionen.
    Anfangs versuchte er den Umstand, nichts Brauchbares mehr zu Papier zu bringen, zu ignorieren, und Ablenkung bei Videos zu finden, die er sich bis tief in die Nacht ansah. Doch als er irgendwann auch daran die Lust verlor und mit einem schlechten Gewissen an die Maschine zurückkehrte und erneut nach wenigen Sätzen ins Stocken geriet, musste er sich eingestehen, ein wirkliches Problem zu haben.
    Er telefonierte mit seinem Lektor, der ihn zu beruhigen versuchte und ihm riet, eine Pause einzulegen und sich abzulenken, zu reisen, Leute zu treffen, auf andere Gedanken zu kommen. Und eine Zeitlang fühlte sich Manthey, der die Kritiker mit seinen beiden ersten Romanen in Entzücken versetzt hatte, dadurch entlastet. Doch als er sich nach fast drei Wochen der Zerstreuung nach einer durchwachten Nacht mit einem starken Kaffee entschlossen wieder an die Maschine wagte und seine Hände geradezu beschwörend wie ein Klaviervirtuose auf die Tastatur seiner Schreibmaschine legte, sah er, dass seine Finger zu zittern begannen.
    Natürlich konnte er das auf seinen Schlafmangel schieben. Oder darauf, dass der Kaffee zu stark gewesenwar. Doch wenn Manthey ehrlich war, gab es für sein Zittern nur eine einzige Erklärung: Er hatte Angst. Angst, zu versagen. Und so griff er verächtlich nach der Staubhülle, warf sie über die nach altem Schmieröl riechende Maschine, erhob sich aus seinem Sessel und lief erschrocken aus dem Zimmer. Anschließend irrte er stundenlang ziellos durch die Straßen, und wenn ihm jemand begegnete, den er kannte, zog er seinen Hut tiefer ins Gesicht und wandte sich ab. Bis er plötzlich glaubte, die Lösung seines Problems gefunden zu haben, er seinen Schritt verlangsamte und schließlich mitten im Strom der ihm Entgegenkommenden stehenblieb. In der Manier eines Hundes, der plötzlich eine Witterung aufgenommen hat, legte Manthey seinen Kopf in den Nacken und schloss beide Augen, sog die Luft ein und ließ sich deren rauchig-herbes Aroma langsam auf der Zunge zergehen.
    Oh, wie gut das tut, dachte er zufrieden und schnappte wieder und wieder nach Luft. Dann schlug er die Augen auf, drehte sich auf dem Absatz um und machte sich zügig auf den Heimweg.
    In seinem Arbeitszimmer stehend, in dessen gut gefüllter Regalwand Manthey unter anderem die Übersetzungen seiner Bücher alphabetisch einsortiert hatte, schlug er entschlossen das Telefonbuch auf, suchte die Nummer des besten Hotels der Stadt heraus und buchte sich ein Zimmer für eine Woche. Und als eram Nachmittag in seinem Hotelzimmer stand und aus dem Fenster sah, hinunter auf die Passanten, die unbekannten Zielen entgegenliefen, überkam ihn ein Gefühl der Zuversicht. Die Vorstellung, eine Zeitlang Wand an Wand mit ihm fremden Menschen zu arbeiten und zu schlafen, stachelte ihn geradezu an. Und so sagte er sich: Sie werden mich inspirieren. Wenn es hier nicht funktioniert, dann funktioniert es nirgends. Dabei dachte er wehmütig an seine Anfänge als Schriftsteller.
    Das Publikum hatte insbesondere sein Debüt »In den Augen der anderen« geliebt und dem Buch innerhalb kürzester Zeit zu neun Auflagen verholfen. Zwei Jahre später war »Unklare Verhältnisse« erschienen, und Manthey hatte die hohen, in ihn gesetzten Erwartungen nicht enttäuscht. Doch seitdem waren mehr als drei Jahre vergangen, und er glaubte inzwischen täglich, den Druck zu verspüren. Mal als plötzlichen Stich im Oberbauch, mal als anschwellendes Sirren in den Schläfen.
    Manthey ging hinunter in die Lobby, ließ sich in einen der dort stehenden ausladenden Ledersessel sinken und bestellte sich einen Gin-Tonic. Das ruhelose Kommen und Gehen und die Geräusche, welche die sich dann und wann elektronisch in Bewegung setzende Drehtür erzeugten, lullten ihn langsam ein. Dazu das gedämpfte Klappern der Rollkoffer, die überden beigefarbenen Teppich hin und her gezogen wurden. Schließlich registrierte Manthey, wie ihm die Augen zufielen. Und er wäre wohl in einen leichten Spätnachmittagsschlaf gefallen, hätte ihn nicht die zwar freundliche, aber energische Stimme der jungen, mit einem nachtblauen Kostüm bekleideten Rezeptionistin aufgeschreckt, die vor ihm stand, ihn durchdringend ansah und sagte: »Entschuldigung, aber Sie können hier nicht schlafen!«
    Manthey richtete sich auf, strich sich verlegen mit der Hand über den Kopf und sagte: »Oh, entschuldigen
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