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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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und führten fernab durch die Nacht, sammelten sich zu Anhöhen, erhoben sich später zu Bergen, kreuzten baumbestandene Straßen, führten zu unbekannten Städten.
    Später auf der Autobahn lag ihr Körper ruhig und friedlich neben mir, so als schliefe sie. Bei der nächsten Ausfahrt fuhr ich ab, der Blinker rastete wieder ein.

NEUNZEHN
    Undeutlich spürte ich das Schwanken der Brücke unter meinen Füßen. Scheinbar endlos spannte sie sich übers Meer. Man hörte nur das Pfeifen des Windes hier oben. Die Luft roch nach Salz und kaltem Stein. Bald würde es dämmern und in der Ferne das Ufer zu erkennen sein. Doch noch war es dunkel. Noch blieb mir etwas Zeit.
    Der Datsun war nur ein grauer Fleck in der Ferne. Ich hatte ihn abgestellt und war einige Schritte gegangen. Unter mir in der Tiefe trieb das Wasser schwarz und ruhig.
    Die letzten paar Stunden hatten mich erschöpft, und eigentlich hätte ich erschüttert sein müssen, doch in mir war nur jene große Müdigkeit, die mich als Kind oft gelähmt hatte, übermächtig und unerklärlich. Noch einmal konzentrierte ich mich auf das Geräusch des Windes, der in schweren Schüben über die Brückefegte und an meinen Kleidern zerrte. Dann lief ich zurück zum Wagen.
    Es war nicht mehr Leni, die ich aus dem Sitz hob, nicht mehr jenes mir bis zuletzt fremd und zugleich vertraut gebliebene Wesen. Ich hielt meine Schwester wie ein stummer, absurder Bräutigam, der seine Angebetete über die Schwelle trägt.
    Bald würden hier wieder die Pendler kreuzen und die Zwölftonner vorbeidonnern. Doch jetzt war ich allein.
    Ohne Anstrengung hob ich den Körper, in dem alles zur Ruhe gekommen war, aufs Geländer. Der Wind stemmte sich in meinen Rücken. Kurz, ganz kurz schüttelte mich ein eisiger, blinder Zorn – ein heftiger Stoß, und sie glitt hinab in die Tiefe.
    Es heißt, in der Sekunde des Todes rasen die Bilder des ganzen Lebens ein letztes Mal als flüchtiger Momentfilm vor dem inneren Auge vorüber, bevor es finster wird und nie mehr hell. Vielleicht hat auch meine Schwester die trostlosen Bilder ihres Lebens am Ende noch einmal sehen müssen.
    Das Aufklatschen des Körpers drang in der Dunkelheit leicht verzögert zu mir herauf. Dann wurde es wieder still, und das gleichmäßige Rauschen des Wassers hatte alle anderen Geräusche verschluckt.
    Wie lange man wohl brauchte, um zu Fuß die Seelandbrücke einmal zu überqueren? Verlassen und mächtig erstreckte sie sich in der Dunkelheit.
    Wir mußten uns nichts mehr beweisen. Wir hatten uns besiegt.
     
    Cunit, Spanien – Frankfurt am Main, Mai 1995 bis August 1996

FALTER UND FINSTERNIS
    zu Peter Hennings Erstling
    von Paul Nizon
     
    Dieser Erstling ist von einer erstaunlichen Kunstfertigkeit, bedenkt man die Mehrschichtigkeit und zunehmende Schwärze des Stoffes und den leichthändigen Einsatz der Mittel zur Meisterung der Handlung.
    Die Mittel sind in erster Linie dramaturgische, mit Schnitt und Rückblende operierende Techniken, zum anderen sprachlicher Natur. Die Handlung hat einen ereignisreichen abenteuerlichen Ablauf und einen erschreckenden Tiefgang – erzählt wird die Fahrt von Geschwistern, Bruder und Schwester, im Auto ans Meer. Die Fahrt ist eine Flucht, die Flucht hat den Charakter einer Entführung, eines Raubs. Die Schwester ist Insassin einer psychiatrischen Klinik in einem fortgeschrittenen Zustand der Regression, Apathie und Verwahrlosung, man denkt: eine Zurückgebliebene.Außerdem ist sie lungenkrank. Die brüderliche Entführung ist der Versuch, die in niederdrückender Monotonie Dahinvegetierende ins Lebendigsein wenn nicht eine Auferweckung zurückzuholen, ein Befreiungsakt. Die Tat geschieht nicht nur aus sorgerischen Gründen der Anhänglichkeit, sondern ebensosehr als Liebesakt, denn kaum wahrnehmbar schwebt eine Note inzestuöser Nähe oder doch eine ähnliche Abhängigkeit über dem Geschwisterverhältnis. Und so fahren denn die beiden in dem alten Datsun über die holländische Grenze ans Meer. Ja, eine Jungfernfahrt.
    Die Reise ist im besten Sinne unterhaltsam aufgezeichnet, mit einem starken Sinn fürs Atmosphärische und mit einer völlig authentisch erscheinenden Autorität für das schwierige, krankheitshalber belastete Geschwisterverhältnis, eine Meisterleistung schon darum weil ohne autobiographischen Hintergrund (der Autor hat keine Schwester), vielmehr freie Erfindung.
    Weniger frei erfunden, das heißt in der Herkommenskonstellation verankert dürften die mehrheitlich
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