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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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Vordächern hochgestellte Seitenwände aus der Ferne an Schirmmützen erinnerten.
    Kurz hielt ich mir die eiskalte Bierdose an die Schläfe, bevor ich sie aufknackte und mir den Schaum in den Mund laufen ließ. Dann rannte ich los, die steil abfallenden, in die Dünen eingelassenen Holzstufen hinab, über den weitläufigen Strand, immer schneller. Schmutzigbraun rollten die Wellen an der Seite an Land.
    Mir war, als müsse ich nur lange genug laufen, um allem zu entkommen. Ein paarmal blieb ich noch stehen, um einige Schlucke aus der Dose zu nehmen, bis ich schließlich ausholte, und sie in hohem Bogen hinaus aufs offene Meer schleuderte, und das Bier sich sekundenlang hell sprudelnd gegen den wolkenlosen Himmel erhob. Kurz trieb die Büchse noch blinkend dahin, ehe sie im Wasser versank.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mich anschließend nach den in den Sand eingegrabenen Muscheln bückte, sie ins Wasser hielt, um sie vom Sand freiwaschen zu lassen, und die Schönheit ihrer Maserungen zu sehen. Irgendwann folgte ich in entgegengesetzter Richtung meinen eigenen, teilweise bereits weggespülten Spuren zurück zur Pension.

SECHZEHN
    In unserem Zimmer roch es nach Urin. Leni hatte in ihrer Erschöpfung ins Bett gemacht. Zu Beginn unserer Fahrt hatte sie sprachlos und lauernd neben mir im Wagen gesessen, während wir durch blühendes Land fuhren und in den Feldern sich die Unterseiten der Maisblätter silbrig in der Sonne drehten; inzwischen schwieg sie nur noch.
    Besuchte ich sie früher und gondelte mit offenem Schiebedach durchs wasserklare Frühlingslicht, über mir der grüne Schweif einer Pappelallee, schien sie mir gut aufgehoben an ihrem Platz. Dann verengte sich das kleine Tal, das mich zu ihr führte, noch einmal, bevor es mich, vorbei an dem schilfbestandenen, großen Weiher, in die weitläufige Senke stieß, wo die Irren wohnten, wie sie die Dörfler in den Nachbarorten nannten, und wo schon am Ortseingang komische Figuren mit wippenden Köpfen standen. Auch Leni wartete meistens schon eine Stunde oder länger amStraßenrand vor dem Haus und gaffte enttäuscht all den Autos nach, die nicht das meine waren, bis sie mich von weitem erkannte und mir freudig entgegenkam. Ohne sich nach den anderen umzusehen, stieg sie zu mir in den Wagen und sagte nur: »Ins Café, fahr los!«
    Einmal hielt sie mir beim Einsteigen wortlos einen vom langen Warten vertrockneten Strauß selbstgepflückter Wiesenblumen hin.
    Anfangs sind wir ohne Umweg ihrem Wunsch gefolgt. Zwischen dunklen Waldstücken ging es hinauf zu dem Dorfcafé, wo sie sich aus Glasvitrinen dicke Kuchenstücke aussuchte und wir bei zwei Kännchen Kaffee die immer gleichen Sätze hin- und herschoben, bis sie nervös ihren Zigarettenrauch in die bald eintretenden Gesprächspausen blies. Später haben wir uns oft mit den zwei Liegestühlen, die ich damals immer im Kofferraum hatte, am Waldrand auf die Wiese gelegt und stumm die schwarzweißen Schachbrettfalter beobachtet, die über die rosafarbenen Distel- oder Kleeblüten schwebten. Oder wir lauschten dem Brummen der dicken, durch die zitternde Luft schießenden Hummeln, die als kleine, schwarze Pfeile über Lenis Qualmwolken hinwegstrichen.
    Manchmal habe ich den Datsun aber nur ziellos durch die Gegend gesteuert.
    Bei einem unserer Ausflüge sind wir an in der Sonneleuchtenden Stoppelfeldern vorbeigefahren, die, eingeschlossen von ungemähten Wiesenstücken, eine Anhöhe hinaufliefen und sich gegen einen unwirklich blauen Himmel bogen. Künstlich schnitten sie ihr goldgelbes Leuchten als Horizontlinie ins Blau, und die dicken, von den Bauern zu bizarren Monumenten geformten Strohballen standen als riesige Ränder in der Sonne. Kindlich staunte Leni sie an.
    »Sie haben mich getreten, mich geschlagen und mit Medikamenten vollgepumpt, aber kleingekriegt haben sie mich nicht«, hatte sie mir immer wieder verbittert und hochmütig ins Ohr gezischt. Nun lagen die Dinge anders. Doch nicht ein neuerlicher Schub hatte sie diesmal matt gesetzt, sondern die für sie immer dünner werdende Luft, nach der sie inzwischen schnappte wie ein Hund, dem eine Stoßstange die Bauchdecke aufgerissen hat.

SIEBZEHN
    »Es hat keinen Zweck, noch länger zu warten, wir fahren zurück«, sagte ich, um unserem sinnlosen Schwebezustand ein Ende zu machen. Das helle Lichtquadrat des offenen Fensters spiegelte sich in ihren Pupillen.
    Inzwischen erinnerte mich Leni an jene Schlachttiere in den schweren Transportern, die ich schon so
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