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Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Autoren: Mindy L. Klasky
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    Als der Sturmbock gegen die Stadttore gerammt wurde, betete Rani Händlerin darum, dass die Tausend Götter sie bis Sonnenuntergang am Leben lassen würden. Hunderte von Soldaten scharrten um sie herum mit den Füßen und vollführten mit gepanzerten Fäusten ein heiliges Zeichen. Eine Böe wirbelte durch den Marmorgang der Kathedrale, ein Vorläufer der Herbstkälte, und Rani schaute automatisch zu Mair und versicherte sich, dass ihre Unberührbaren-Freundin einen Umhang um ihre zu dünnen Schultern geschlungen hatte.
    Mair erwiderte finster Ranis Blick, als wäre die kalte Brise ein persönlicher Affront. Rani wollte fast glauben, dass die Unberührbaren-Frau ihren alten Schwung wieder gefunden hatte und schließlich zu ihrer Angewohnheit zurückgekehrt war, die Welt herumzukommandieren. Bevor sich jedoch Freude in Ranis Herz ausbreiten konnte, schaute Mair auf das um ihr Handgelenk gewickelte, seidene Viereck. Sie flüsterte an das Tuch gewandt, mit einer Stimme, die fast zu leise war, um sie in der widerhallenden Kathedrale zu verstehen: »Alles wird gut, Lar. Keine Angst, Sohn. Du wirst nicht zu sehr frieren.«
    Rani erschauderte unter der Kälte, die ihr Rückgrat hinab kroch, ein Kribbeln, das nichts mit der Temperatur im Haus der Tausend Götter zu tun hatte. Mair hatte den größten Teil des vergangenen Jahres damit verbracht, mit ihrem toten Sohn Laranifarso zu sprechen. Sie redete sich ein, dass er noch immer in ihren Armen läge, dass sie ihn überall dorthin mitnähme, wo sie mit dem Quadrat schwarzen Stoffs hinging, Stoff, der aus der Maske gerissen worden war, die Mair bei den geheimen Treffen der Gefolgschaft des Jair getragen hatte.
    Rani konnte sich noch immer an das Geräusch des reißenden Stoffs erinnern, an Mairs Zorn gegen die Gefolgschaft, die ihren Sohn ermordet hatte. An jenem Tag durchquerte Mair das ferne Land des Wahnsinns zum ersten Mal. An jenem Tag verließ Mair die geistige Gesundheit und Beständigkeit sowie die gesamte vertraute Welt zum ersten Mal.
    Der Sturmbock hämmerte weiterhin gegen die Stadttore unterhalb der Kathedrale, und Rani rief sich in Erinnerung, dass ganze Tage vergingen, ohne dass die Unberührbaren-Frau an die Seide gewandt sprach. Aber jedes Mal, wenn Ranis Hoffnung, dass Mair geheilt wäre, zunahm, hob die andere Frau ihr Handgelenk an und murmelte an den Stoff gewandt, als wäre er ein lebendes, denkendes Wesen, als könnte er ihr ausführlicher antworten, als Mairs kleiner Sohn es in seinem zu kurzen Leben je gekonnt hatte. Rani zwang sich, still zu bleiben, vorzugeben, dass sie das imaginäre Kind nicht sähe. Dann begann Mair den Tag, als wäre nichts fremdartig, nichts seltsam, nichts schrecklich oder entsetzlich falsch.
    Der Sturmbock verstärkte sein Hämmern, während Mair mit der Hand über die Seide strich, als glätte sie das Haar eines realen Jungen, als beruhige sie ein aufgeregtes Kind. »Achtung!«, flüsterte Rani, die sich nicht zurückhalten konnte.
    »Achte auf deine eigenen Gebete, Rani«, grollte Mair, und Rani glaubte fast, die Unberührbaren-Frau rege sich nur über die Teilnahme an dem Gottesdienst zur Verherrlichung der Soldatenkaste auf. Die alte Mair hätte sich gewiss darüber erzürnt, im Haus der Tausend Götter Zeit zu verschwenden, während feindliche Briantaner außerhalb der Stadtmauern lagerten und liantinische Schiffe den Hafen blockierten. Sie hätte sich darauf konzentriert, ihre Finger nicht in die Geldbörsen der Adligen wandern zu lassen, die ihr am nächsten standen. Sie hätte sich darauf konzentriert, den knienden Soldaten ihre scharfe Zunge zu ersparen. Sie hätte den Priester finster angesehen, der am Altar stand und Göttern, welche die Unberührbaren stets zu ignorieren schienen, munter Gebete darbot.
    Nein, die neue Mair handelte in keiner Weise wie die Unberührbaren-Frau, mit der Rani sich vor mehr als neun Jahren angefreundet hatte. Die neue Mair ignorierte all die versammelten Gläubigen um sich herum – alle außer Rani. Und Farsobalinti.
    Rani gewahrte einen Blickwechsel zwischen den beiden. Mair trug noch immer die goldene Armbinde, die Lord Farsobalinti ihr während ihrer Hochzeitszeremonie geschenkt hatte. Der Adlige hatte seine jedoch abgelegt, denn er konnte die Erinnerung an leichtere Zeiten nicht ertragen, an glücklichere Zeiten, als es seiner Frau und seinem Sohn gut ging. Als Laranifarso starb, war Mair gezwungen, ihre geheime Verstrickung in die schattenhafte Gefolgschaft zu
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