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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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so dalag, vernahm ich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder das Rauschen des Blutes in meinen Ohren; jenes mir so vertraute Geräusch, von dem Mutter mich nach langem Sehnen erlöste, wenn sie mich endlich aus dem Dunkel des Kinderzimmers befreite und mich aus meinem Bett heraushob in die Helligkeit des neuen Tages. Doch nun, das wußte ich, würde niemand kommen.

FÜNFZEHN
    Auch am Morgen war Lenis Zustand unverändert, sie hatte weiter hohes Fieber, ihre Stirn glühte. Sie war wieder in jenem Zustand angekommen, in dem sie – und es erschien mir jetzt wie gestern – umstellt von Beatmungsgeräten, Herztonschreibern und Sauerstoffflaschen unter ständiger Aufsicht in einem Bett gelegen hatte. Ich durfte immer nur wenige Minuten auf der Intensivstation bei ihr bleiben, dort, wo sich die Hoffnungen der Frischoperierten im Rhythmus der Sauerstoffpumpen regten.
    Das Frühstück bestellte ich mir aufs Zimmer. Wie ein angestrahltes Bettlaken hing das weiße Licht der Frühsonne vor dem Fenster. Die Luft roch nach frisch gemähtem Gras.
    Unser fluchtartiger Aufbruch, Raabs Hamster und auch die vielen Stationen unserer Irrfahrt – all das war hinter Lenis Krankheit inzwischen verblaßt.
    Das Klopfen an der Tür riß mich aus meinem Brüten.Die Wirtin stellte das Tablett auf das wacklige Tischchen am Fenster und blieb einen Moment lang am Bett meiner Schwester stehen. Ich konnte mir ausmalen, was in ihr vorging, und als sie tatsächlich darauf drängte, einen Arzt zu holen, habe ich sie nicht daran gehindert.
    Wenig später stand Dr. Wouters in unserem Zimmer, ein hagerer, mittelgroßer Mann mit einem weißen Stoppelbart.
    Der dunkelgraue Anzug schlotterte um seine schmalen Schultern, er roch nach Schweiß, und wenn er sich bewegte, glaubte man das Ächzen seiner Glieder zu hören.
    Mit dem Stethoskop auf den Ohren tastete er auf der Suche nach fremden Geräuschen mit ernster Miene die nackte Brust meiner Schwester ab. Ich beobachtete ihn, als müsse ich mir jede Geste, jeden seiner Handgriffe einprägen. Hastig legte er das Stethoskop zur Seite und fingerte in seinem kleinen Köfferchen nach weiteren Instrumenten, bis er ein Fläschchen und eine Injektionsspritze hervorholte, deren lange Nadel er Leni gleich darauf in die Armbeuge stieß. Sie zuckte auf. Zuvor hatte er durch seine Brillengläser auf die kleine Sprühfontäne geschielt, die auf seinen Druck hin aus der Spritze entwich. Wouters hielt die Luft an. Soviel ich verstand, hatte er meiner Schwester Penicillin gespritzt, um das Fieber zu senken. Nachdem er michnoch einmal mit leicht vorgeschobenem Kinn über die Ränder seiner Nickelbrille eindringlich angesehen hatte, schob er mir spitz seine linke Hand mit den Worten vor die Brust: »Ihre Schwester muß ins Krankenhaus, verstehen Sie? – Macht 80 Gulden!«
    Indem er unausgesetzt in meine Richtung schielte, versuchte er offenbar bis zuletzt, mir die Bedrohlichkeit unserer Situation vor Augen zu führen. Doch erst nachdem ich ihm versprach, seinem Rat zu folgen, und er nichts mehr zu sagen wußte, zog er ab, wie er gekommen war: schlurfend und müde, ein versunkener Sonderling, den nichts mehr zu berühren schien.
    Ich konnte sehen, wie Leni ein anderer Mensch wurde, sich ganz allmählich von mir entfernte, wie ich sie verlor. Vor dem Fenster gegenüber drehten sich zwei bunte Windräder in der Sonne.
    Das Penicillin hatte Leni deutlich ruhiger werden lassen. Die ganze Nacht hatte sie schmerzvoll gestöhnt.
    Leise schlich ich aus dem Zimmer, lief die Treppe hinunter, vorbei an der Wirtin, die kurz von ihren Papieren aufsah, als ich heraus auf die Straße trat.
    Die Luft war klar wie poliertes Glas. Langsam lief ich, vorbei an dem kleinen Kreisel, in dessen Mitte die gelben Blüten der Rosen auf einem Rasenstück leuchteten, hinüber zur Promenade, wo unter flatternden Fähnchen eine Fischbude stand.
    Alles erstrahlte künstlich im vormittäglichen Glast,die Fassaden der Häuser, das vertrocknete Gras an den Seiten des Gehwegs, selbst der zum Meer hin abfallende, nun fast weiße Sand. Ich mochte die Vorstellung, am Mittag Backfisch und saure Gurken zu essen, dazustehen neben anderen, und das beruhigende Girren der Brandung zu hören. Doch jetzt kaufte ich mir nur eine Dose Bier.
    Stieß der Wind in die blau-weiß-gestreiften Fähnchen, war ein Flappen zu hören, so, als schlage eine unsichtbare Hand wieder und wieder gegen den Stoff. Entlang der Promenade standen weitere, kleiner werdende Buden, deren zu

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