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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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oft auf der Autobahn überholt hatte, dicht aneinandergedrängte Schweine, die ihre schnüffelnden Rüssel durch die schmalen Belüftungsschlitze schoben und eingekeilt ihrer Tötung entgegenfuhren. Die kreatürliche Demut der Tiere berührte mich jedesmal, diese untrügliche Witterung des nahen Todes.
    Rasch zahlte ich die Rechnung, packte unsere Sachen zusammen, zog Leni an, und als ich sie das enge Treppenhaus hinuntertrug, erschien sie mir merkwürdig leicht, es war, als hielte ich ein Kind in meinen Armen und nicht eine erwachsene Frau. Sie atmete flach.
    Die Sonne hatte den Wagen aufgeheizt. In der Ferne ertönte das Signal eines Zuges. Der Schweiß rann mir in kleinen Bächen in den Nacken und über die Stirn. Im Rückspiegel wurde die Pension kleiner, die Autos an der Seite blitzende Farbtupfer, eine gleißende Schneise, Lichtschranken.
    Ich folgte den Wegweisern, fädelte mich in den fließenden Abendverkehr Richtung Breda ein. Bis dahin konnte es allerhöchstens eine Stunde sein, danach weiter über s’Hertogenbosch, Richtung Arnheim. Ursprünglich wollte ich entlang der Küste über die Seelandbrücke weiter nach Middelburg fahren.
    Als Junge stand ich einmal auf dieser Brücke, rechts und links nichts als Meer. Ich ließ immer wieder meine Spucke in die Tiefe plumpsen, bis mein Mund ausgetrocknet war. Die kleinen Klümpchen trieben im Wind meterweit ab, und ich machte mir einen Spaß daraus, mir im voraus ihre Flugbahn vorzustellen. Strichen sie wie an der Schnur gezogen ins Wasser, sammelte ich neue Spucke im Mund.
    Ich muß damals acht oder neun gewesen sein, und das Pfeifen des Windes auf der Brücke, das habe ich gemocht. Mit meinem Klassenkamerad Thomas und seinen Eltern, die einen Lebensmittelladen in der Nachbarschaft hatten, war ich in die Sommerferien gefahren. Nach Holland, meine ersten großen Ferien ohne Mutter oder sonstwen aus der Familie.
    Später wurde Thomas Fernfahrer und fuhr um die halbe Welt. Schon mit zweiundzwanzig hatte er mehr Geld als wir alle. Doch für mich ist Thomas jener Junge auf einer Fotografie geblieben, der mit vier anderen Kindern an einem runden Geburtstagstisch sitzt und, fröhlich über die brennenden Kerzen in die Kamera guckend, eine Kuchengabel in der Hand hält.
    Inzwischen brachte uns der Datsun immer weiter von der Seelandbrücke weg. Wir fuhren unter einem gelbroten Abendhimmel, und manchmal glaubte ich die Wölbung der Erde zu spüren, wenn die Autobahn sanft abfiel und der Wagen sich leicht nach vorne neigte.
    Von der See trieben tiefhängende Wolken heran. Ab und zu schoben sich am Horizont letzte Sonnenstrahlen durch den rauchfarbenen Dunst. Durchs offene Fenster strich mir kühle Luft an die Schläfe.
    Bruinisse, Oude-Tonge, Willemstad, in raschem Flug wischten die Ortsschilder vorbei. Dann kam der Regen, mächtig und befreiend. Stürmisch entlud sich die Hitze der letzten Tage über dem Land, begleitet von einem dunklen, sich nähernden und wieder entfernenden Grollen.
    In schweren, unregelmäßigen Wellen lief das Wasser über die Windschutzscheibe, überspülte die Straße bis zum Mittelstreifen. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge stocherten durch die milchigeDämmerung, die ab und zu hell aufriß, wenn in der Höhe Blitze zuckten und alles in ein diffuses, grüngraues Licht tauchten.
    Die Lichter der Raststätten spiegelten sich auf dem nassen Asphalt. Die Wischer liefen auf Hochtouren. Auf Lenis Seite beschlug die Scheibe.

ACHTZEHN
    Mutter hatte ihr Leben lang vor allem Angst gehabt und bis zuletzt eine eingeübte Selbstsicherheit an den Tag gelegt, hinter der sie sich meine ganze Kindheit und Jugend über versteckt hielt. Allen anstehenden Entscheidungen, allen noch so geringfügigen Veränderungen war sie mit einer hinter dick aufgetragener Fürsorge getarnten Mutlosigkeit ausgewichen. Ihre Lebensvermeidungstaktiken hat sie uns eingeimpft mit jeder Geste, jeder Mahnung. Sie hat uns in Schach gehalten mit ihrer Angst, hat sich auf unsere Kosten geängstigt.
    Im Stift aber, mit ihren Kaffeedamen und Opernfreunden, hatte Mutter noch einmal – zu allem entschlossen – Anfang gespielt: Nachmittags versprühte sie Lebensfreude in ihrer Literaturrunde, und neuerdings modulierte sie ihre Stimme in einen falschen jugendlichen Hochton. Unterdessen fuhren wir dem Ende einer Reise entgegen, das wir uns so nicht vorgestellthatten. Es war, als zöge sich in unserem Fahren all das Erlebte, Vergangenheit und Gegenwart, zu einem einzigen endlosen
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