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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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versichert, man würde mich in Kriegszeiten nicht einberufen. Ich bekam Besuch und einen Brief. Du weißt ja, wie sie um Menschen unseres Standes werben. Mussolini hat sogar den König zum Faschisten gemacht! Es hilft, die alten Starrköpfe wie dich zu überzeugen, dass die Nazis kein Haufen ungebildeter, arbeitsloser und dummer Schlächter mehr sind.«
    Ich erwiderte, ich sei nach wie vor skeptisch. Bisher könne ich nur dieselben alten Strolche sehen, die sich die Finanzkraft eines ganzen ausgeplünderten Staates angeeignet hatten, um die Leute zu bezahlen, die der Partei in der Welt Gehör verschaffen konnten.
    »So ist es«, stimmte er zu. »Aber wir können diese Strolche zu unserem eigenen Vorteil nutzen, oder? Wir können die Welt verbessern. Sie wissen ganz genau, dass sie weder eine moralische Rechtfertigung noch ein politisches Programm haben. Sie wissen, wie man die Macht ergreift und behält, aber sonst nicht viel. Sie brauchen Menschen wie uns, mein Vetter. Und je mehr Menschen wie wir sich ihnen anschließen, desto ähnlicher werden sie uns.«
    Ich sagte ihm, meiner Erfahrung nach schienen die meisten Menschen eher den Nazis ähnlicher zu werden. Er sagte, das liege daran, dass es nicht genug von ›uns‹ gebe, die ein Gegengewicht schaffen könnten. Darauf wandte ich ein, dass ich dies für eine gefährliche Art von Logik hielte. Ich hatte noch nie gehört, dass ein Mensch die Macht korrumpiert hätte, jedoch schon oft, dass Macht die Menschen korrumpiere. Er fand dies amüsant und sagte, es käme darauf an, was man unter Macht verstehe. Und es liege doch immer bei einem selbst, wie man die Macht einsetze. Man setzt sie ein, um rechtschaffene Steuerzahler anzupöbeln und wegen ihrer Rasse und Religion zu diffamieren, erwiderte ich. Wer wollte schon die Macht haben, um so etwas zu tun? Das sei natürlich eine Schande, sagte er. Die ›jüdische Frage‹ sei allerdings Unsinn. Das wüssten wir alle. Die armen alten Juden seien immer die Sündenböcke. Sie würden dieses politische Theaterspiel schon überleben. Niemand käme ernsthaft zu Schaden, wenn er in einer wohl geordneten Umgebung zu körperlicher Ertüchtigung gezwungen werde. Ob ich nicht den Film über die Lager gesehen hätte? Sie hätten dort jede Art von Luxus. Als wir uns zum Abendessen setzten, war er so freundlich, das Thema zu wechseln.
    Während des Essens sprachen wir über die Umorganisation der Justiz durch die Nazis und über die Frage, was dies für die Anwälte bedeute, die in einer ganz anderen Tradition ausgebildet worden waren. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht die Zerstörung gesehen, die der Faschismus allen brachte, die sich zu ihm bekannten, und redeten unbefangen über die ›guten‹ und ›schlechten‹ Seiten des Systems. Es sollte noch ein oder zwei Jahre dauern, bis auch die gewöhnlichen Menschen das abgrundtief Böse erkannten, das sich in unserem Volk breit gemacht hatte. Gaynor stand mit seinen Ansichten keineswegs allein. Wir waren inmitten antijüdischer Phrasen aufgewachsen und hatten gesehen, dass solche Sprüche, abgesehen davon, dass sie ein paar rechtsextreme Wählerstimmen einfangen konnten, keinerlei Bedeutung hatten. Warum sollten wir dies anders sehen, wenn viele unserer jüdischen Freunde es nicht ernst nahmen? Wir alle wussten noch nicht, dass die Nazis erheblich mehr wollten als nur ein paar Phrasen dreschen.
    Zwar hatten die Nazis vom Augenblick ihrer Machtübernahme an bereits Konzentrationslager eingerichtet und schon zu Beginn ihrer Herrschaft genau die Methoden benutzt, die sie auch am Ende noch benutzten, aber wir hatten noch kein Wissen über die entsetzlichsten Grausamkeiten und Schrecken - und in unserem Bestreben, dem Gestank der Schützengräben zu entgehen, hatten wir mit unseren gedankenlosen Vorlieben und Ängsten einen viel schlimmeren Gestank erzeugt. Selbst als wir glaubwürdige Berichte über die Grausamkeit der Nazis bekamen, hielten wir sie für Schilderungen von Einzelfällen. Auch die Juden verstanden kaum, was vor sich ging, und sie waren immerhin das vorrangige Ziel der Brutalität.
    Wir betrachten die grundlegenden sozialen Übereinkünfte, den Grundkonsens unserer Demokratie, häufig als eine Selbstverständlichkeit - jene bedeutenden historischen Freiheitsrechte, die unsere Vorfahren, tapfer und Schritt für Schritt, im Laufe der Jahrhunderte für uns erkämpft haben. Wenn diese Strukturen aufgehoben oder zerstört werden, können wir nicht umdenken.
    Die Bürger
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