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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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ich seinen Erwartungen gerecht. Ich war, sagte er, die lebendige Aufzeichnung der Weisheit seiner Familie.
    Doch an von Aschs Weisheit war nichts Außergewöhnliches. Seine Ratschläge waren feinsinnig und sprachen, wie er wahrscheinlich genau wusste, meinen Sinn für Ästhetik und meine Liebe für komplexe Zusammenhänge und das Symbolhafte an. Statt mir seine Ideen aufzunötigen, pflanzte er sie wie Samen. Sie wuchsen, wenn die Bedingungen ihnen entsprachen. Dies war das Geheimnis seiner Lehren. Irgendwie stellte er die Dinge so hin, als hätte ich alles selbst vollbracht, als erfordere die Situation bestimmte Reaktionen und als habe er lediglich ein wenig geholfen, indem er mich anhielt, meiner Intuition zu trauen und sie umzusetzen.
    Natürlich hatte er ganz eigene Vorstellungen vom Lied des Schwerts.
    »Du musst dem Lied lauschen«, sagte er. »Jede große Klinge hat ein ganz eigenes Lied. Sobald du dieses Lied gefunden hast und deutlich hörst, kannst du mit ihr kämpfen, denn das Lied bringt das Wesen des Schwerts zum Ausdruck. Die Klinge wurde nicht geschmiedet, um Wände zu schmücken oder um als Zeichen des Sieges oder der Herrschaft präsentiert zu werden. Sie ist keine Stärkung deiner Manneskraft und kein Ausdruck deiner Seele. Sie ist ein Werkzeug des Todes. Im besten Falle bringt sie den verdienten Tod. Wenn du diese Deutung zweifelhaft findest, mein Sohn - ich sage nicht, dass du sie jemals in der Wirklichkeit zur Geltung bringen sollst, sondern ich möchte einfach nur, dass du ihre Wahrheit anerkennst -, dann solltest du das Schwert für immer aus der Hand legen. Mit dem Schwert zu kämpfen ist eine schwierige Kunst, die in höchster Vollendung erst dann ihren Ausdruck findet, wenn es auf Leben und Tod geht.«
    Für das höchste Ziel zu kämpfen - gegen das Vergessen - schien mir genau der richtige edle Zweck, zu dem die Klinge unserer Ahnen, das Rabenschwert, eingesetzt werden sollte. Im Laufe der letzten Jahrhunderte hatten nur wenige Interesse an diesem eigenartig geschmiedeten Langschwert bekundet, in das geheimnisvolle Runenverse graviert waren. In gewisser Weise galt es sogar als peinliches Vermächtnis. Einige unserer Ahnen hatten den Verstand verloren und, von abwegigem Forschergeist getrieben, das Schwert zu seltsamen Zwecken eingesetzt. Noch im letzten Jahrhundert hatte das Lokalblatt von Mirenburg einen Bericht veröffentlicht. Ein Irrer habe sich als eine Sagengestalt namens ›Rotauge‹ ausgegeben und sei mit einer Klinge Amok gelaufen. Mindestens dreißig Menschen habe er umgebracht, dann sei er spurlos verschwunden. Eine Weile gerieten die von Beks unter Verdacht, denn unser Albinismus war dort gut bekannt. Aber niemand wurde vor Gericht gestellt. In der damaligen Trivialliteratur war ›Rotauge‹ ebenso bekannt wie Jack the Ripper, Phantomas oder der Springteufel.
    Ein Teil unserer unrühmlichen, blutigen Vergangenheit. Am liebsten wollten wir das Schwert und seine Legenden einfach vergessen. Es gab ohnehin nicht viele Bewohner in den leeren, einsamen Räumen von Bek, keine Familie, die das Haus füllen und sich erinnern konnte. Nur einige Hinterbliebene, die für den Krieg oder das Leben in der Stadt zu alt waren. Und natürlich gab es Bücher.
    Als für mich die Zeit kam, den Umgang mit der Klinge zu lernen, lehrte von Asch mich auch ihre wichtigsten Lieder, denn dieses Schwert war ein ganz besonderes Schwert.
    In welche Richtung man den Stahl auch drehte, er gab ganz außergewöhnliche Resonanzen von sich. Ein Zittern, das einem zum Sprung gespannten Raubtier nicht unähnlich schien. Wie ein vollkommenes Musikinstrument schien sich die Klinge zu den Liedern zu bewegen. Sie schien mich zu führen. Der Lehrer zeigte mir, wie ich ihr mit feinen Streichen und Bewegungen der Finger und Handgelenke die Lieder entschmeicheln konnte, ihre Lieder von Hass und Verachtung, süße Lieder nach brennendem Blutdurst, melancholische Erinnerungen an frühere Schlachten und zornige Rache. Aber keine Liebeslieder. Schwerter, sagte von Asch, haben meist keine Herzen. Und es sei unklug, auf ihre Treue zu bauen.
    Diese Waffe, die wir Rabenbrand nannten, war ein großes Langschwert aus schwarzem Eisen mit schlanker, in ungewöhnlicher Weise wie ein Blatt geformter Klinge. Unserer Familiengeschichte zufolge wurde sie von Bruder Corvo geschmiedet, dem venezianischen Waffenschmied, der eine berühmte Abhandlung über das Thema verfasst hat. Allerdings gibt es auch eine Geschichte, dass Corvo - der
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