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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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Dächern und Kaminen, den grün verglasten Fenstern, den Wochenmärkten und den alten Gebräuchen war nicht gegen die Soldatenstiefel des zwanzigsten Jahrhunderts gefeit.
    In den Jahren vor 1933 marschierten kleine Abteilungen von selbst ernannten Freikorps, hauptsächlich rekrutiert aus stellungslosen Ehemaligen, unter Führung von Unteroffizieren, die sich selbst den Hauptmannsrang oder noch höhere verliehen hatten, gelegentlich durch die Straßen. In Bek, wo ich die Erlaubnis für solche Gruppierungen verweigerte, gab es sie nicht, wohl aber in einer Nachbarstadt. Ich nahm an, dass sie dort zu viele Rivalen hatten, gegen die sie sich durchsetzen mussten, sodass es ihnen wichtiger schien, ihre Stärke in einem Ort zu zeigen, der fast alle seine Männer verloren hatte und wo nur noch alte Leute und Kinder lebten.
    Diese Privatarmeen kontrollierten einige Regionen Deutschlands. Sie kämpften ständig gegen rivalisierende Gruppen, gegen Kommunisten und gegen Politiker, die ihre Macht einzudämmen versuchten, und warnten, der Bürgerkrieg sei unausweichlich, wenn man die Freikorps nicht unter Kontrolle brachte. Genau dies boten die Nazis an - sie gaben vor, sie würden genau jene Kräfte bezähmen, die sie in Wahrheit benutzten, um Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft unseres armen, gedemütigten Deutschland zu schüren.
    Ich teile die Ansicht, dass Hitler und die Freikorps keinen Anlass zur Klage gehabt hätten, wenn die Alliierten sich großzügiger gezeigt und nicht versucht hätten, uns das Mark aus den Knochen zu saugen. Doch unsere Lage war eine äußerst benachteiligte und in einem solchen Klima kann auch ein gemäßigter Bürger irgendwie dazu kommen, die Taten von Menschen zu billigen, die er vor dem Krieg ohne Federlesens verurteilt hätte.
    Einen Bürgerkrieg nach dem Vorbild Russlands mehr fürchtend als die Tyrannei, stimmten im Jahre 1933 viele von uns für den ›starken Mann‹, weil sie hofften, er werde uns Stabilität bringen.
    Leider war Hitler wie die meisten ›starken Männer‹ nicht mehr als ein politisches Konstrukt und so wenig der Mann mit der eisernen Hand, als den seine Anhänger ihn darstellten, wie irgendein anderer elender, geifernder Psychopath.
    Tausend Hitlers gab es in den Straßen Deutschlands, tausend heruntergekommene, neurotische Taugenichtse, die sich vor Eifersucht und blindem Hass verzehrten. Doch Hitler arbeitete hart daran, seine Gabe als Verkünder billiger Parolen zu schulen. Seine Macht bezog er von den schlimmsten Figuren im Pöbel, und er sprach mit gröbsten Schimpfwörtern über den an uns begangenen Verrat, den er im Gegensatz zu manch anderem nicht auf die Habsucht unserer Führer und die Raubgier unserer Eroberer zurückführte, sondern auf eine geheimnisvolle, beinahe übernatürliche Macht, die er als ›das internationale Judentum‹ bezeichnete.
    Normalerweise hätte ein solch schreiender Unsinn nur eine Randgruppe weniger intelligenter Mitglieder der Gesellschaft angelockt, doch nachdem eine Finanzkrise auf die Nächste gefolgt war, konnten Hitler und seine Anhänger immer mehr gewöhnliche Deutsche davon überzeugen, dass der Faschismus den einzigen Ausweg biete.
    Denken Sie an Mussolini in Italien. Er hatte seine Nation gerettet und erneuert, bis man sie wieder fürchten musste. Er hatte Italien eine neue Manneskraft geschenkt, so hieß es. Er hatte sein Land so männlich und stark gemacht, wie es auch Deutschland wieder werden musste. In solchen Bahnen denken diese Menschen. Mit Gewehr und Stiefel, unter unsrer Flagge und in Formation, erkämpfen wir Gerechtigkeit für die Nation, wie Wheldrake es in einem seiner zornigen Knüttelreime kurz vor seinem Tod im Jahre 1927 formulierte.
    Einfache Ziele, einfache Antworten, einfache Wahrheiten.
    Intellekt, Wissbegierde und Anstand wurden verspottet und angegriffen, als wären sie Todfeinde. Männer bekräftigten ihre angeschlagene Männlichkeit, indem sie, wie es oft geschieht, darauf beharrten, dass die Frauen daheim bleiben und Kinder bekommen müssten. Trotz aller Ehrerbietung für die Erdgöttinnen wurden die Frauen mit milder Verachtung behandelt. Echte Macht durften sie nicht ausüben.
    Wir lernen langsam. Weder das englische, noch das französische oder das amerikanische Experiment, eine soziale Ordnung zwangsweise einzuführen, führten zu einem guten Ergebnis. Die Experimente der Kommunisten und Faschisten, die mit ganz ähnlicher puritanischer Rhetorik einhergingen, belegen die gleiche Tatsache -
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