Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
dass nämlich normale Sterbliche viel komplizierter sind als einfache Wahrheiten. Die einfachen Wahrheiten mögen gut und schön sein, wenn man streitet und etwas klären will, aber sie sind kein Instrument, zu dem eine Regierung, die zwangsläufig die Kompliziertheit der Menschen widerspiegeln muss, greifen darf, wenn sie erfolgreich sein will. Es überrascht nicht, dass die Straftaten von Jugendlichen bis 1940 einen ungeahnten Höhepunkt erreichten, obwohl die Nazis natürlich die Existenz eines solchen Problems, das es in der von ihnen geschaffenen Welt nicht geben durfte, niemals eingestehen konnten.
    Obwohl viele von uns wussten, wie die Nazis waren, konnten sie 1933 die Kontrolle über das Parlament übernehmen. Unsere Verfassung war ein wertloses Stück Papier geworden, das zusammen mit den großartigen, bewegenden Werken von Mann, Heine, Brecht, Zweig und Remarque verbrannt wurde, als die Nazis an Kreuzungen und auf Plätzen lodernde Scheiterhaufen errichteten. Sie nannten die Tat eine Reinigung unserer Kultun. In Wahrheit war es ein Triumph von Dummheit und Heuchelei. ‘
    Stiefel, Knüppel und Peitschen wurden zu den Instrumenten der politischen Auseinandersetzung. Wir konnten uns nicht widersetzen, weil wir nicht glauben konnten, was geschah. Wir hatten uns auf die demokratischen Institutionen verlassen und verfielen in einen Zustand nationaler Verleugnung. Doch die Realität sollte uns schon bald genug einholen.
    Es war für jeden unerträglich, der die alten humanistischen Tugenden des Lebens in Deutschland wertschätzte, aber unsere Proteste wurden auf ebenso brutale wie wirkungsvolle Weise unterdrückt. Bald waren nur noch wenige von uns übrig, die weiterhin Widerstand leisteten.
    Während sich der Zugriff der Nazis verschärfte, wagten es immer weniger von uns, offen aufzubegehren oder auch nur leise zu grollen. Die Sturmtruppen waren überall. Sie konnten willkürlich Menschen festnehmen, einfach nur ›um ihnen einen Vorgeschmack zu geben, was ihnen blüht, wenn sie aus der Reihe tanzen‹. Mehrere Journalisten, die ich kannte und die an keine politische Partei gebunden waren, wurden monatelang eingesperrt, freigelassen und erneut eingesperrt. Sie wollten nicht mehr sprechen, wenn sie freigelassen wurden, sie hatten zu viel Angst.
    Die Polizei der Nazis sollte die Protestierenden einschüchtern. Dies gelang ihnen recht gut, weil Kirchen und Militär sich willig fügten, aber sie konnten die Opposition nicht völlig zum Verstummen bringen. Ich beispielsweise wollte mich einer Widerstandsgruppe anschließen, die sich den Namen ›Die Weiße Taube‹ gegeben hatte. Ich wollte einen Schwur leisten, Hitler zu töten und in jeder nur denkbaren Weise gegen ihn und seine Ziele vorzugehen.
    Ich tat meine Sympathien kund, so gut es ging, und bekam schließlich einen Anruf von einer jungen Frau. Sie nannte sich ›Gertie‹ und sagte mir, sie werde sich melden, sobald es gefahrlos möglich sei. Sie wollten wohl erst meine Zuverlässigkeit überprüfen und sich vergewissern, dass ich kein Spion und kein potenzieller Verräter war.
    Zweimal wurde ich in den Straßen Beks als unreines Wesen und eine Art Leprakranker angegriffen. Ich hatte Glück, dass ich unverletzt heimkehren konnte. Danach ging ich so wenig wie möglich nach draußen - und wenn überhaupt, dann gewöhnlich erst nach Einbruch der Dunkelheit und außerdem meist in Begleitung meines Schwerts. Das mag dumm klingen, denn die Rollkommandos waren teilweise mit Pistolen bewaffnet, aber das Schwert gab mir ein Gefühl von Kraft, es machte mir Mut und schenkte mir eine eigenartige Sicherheit.
    Nicht lange nach dem zweiten Vorfall, als einige Braunhemden mich anspuckten und meinen alten Diener Reiter als Lakaien eines Adligen angegriffen hatten, setzten die bizarren, erschreckenden Träume wieder ein. Sie hatten eine fast wagnerianische Qualität. Voller Rüstungen und schwerer Streitrösser waren sie, ich sah blutige Banner und vom Stahl niedergemetzelte Menschen, ich hörte grelle Trompetenstöße. All das eindrucksvolle, scheußliche Beiwerk des Krieges. Die Sorte Bilder, die genau jene Bewegung vorantrieben, die zu bekämpfen ich geschworen hatte.
    Langsam nahmen die Träume eine Form an und wieder wurde ich von Stimmen heimgesucht, die in unverständlichen Sprachen redeten und seltsame, zungenbrecherische Namen nannten. Es schien mir, als lauschte ich einer langen Liste der Namen aller Menschen, die seit Anbeginn aller Zeiten eines gewaltsamen Todes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher