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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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diese Jahreszeit noch hoch, erst im Sommer sollten Ernst Röhm und Hitlers übrige Rivalen und Peinlichkeiten unter den Nazis in der so genannten ›Nacht der langen Messer‹ ermordet werden. Röhms größter Feind, der jetzt kometenhaft in der Partei aufstieg, war der farblose kleine und prüde Heinrich Himmler, ein zimperlicher Kronprinz, Chef der SS und ehemaliger Hühnerfarmer, der bald der zweitmächtigste Mann nach Hitler werden sollte.
    Mein Diener Reiter öffnete den Besuchern mit vornehmer Geringschätzung die Tür und nahm die Karte meines Vetters entgegen. Voller Sarkasmus verkündete Reiter die geehrte Ankunft des Hauptmanns Paul von Minct. Auch Gaynors Fahrer und sein Adjutant, ein Preuße mit tief in den Höhlen blitzenden Augen und einem Gesicht wie ein Totenkopf, der als Leutnant Klosterheim vorgestellt wurde, redeten meinen Vetter als Hauptmann von Minct an.
    Gaynor sah mit der schwarzen und silbernen Uniform und den rotschwarzen Hakenkreuzen und Abzeichen ebenso prächtig wie gefährlich aus. Wie üblich war er sehr einnehmend und amüsant und gab einige selbstironische Bemerkungen von sich, als er den Dienern die Treppe hinauf folgte. Ich lud ihn ein, sich vor dem Abendessen zu mir auf die Terrasse zu gesellen, sobald er seine Gemächer bezogen und sich etwas frisch gemacht hatte. Sein Fahrer und sein Adjutant sollten unten mit den Dienern zu Abend essen. Klosterheim schien sich ein wenig zu sperren, nahm es dann aber mit der Haltung eines Mannes hin, der zu oft beleidigt worden war, um noch ernsthaft dagegen aufzubegehren. Ich war froh, dass er nicht mit uns aß. Die kranke graue Haut und der fast fleischlose Kopf gaben ihm das Aussehen eines Toten.
    Es war ein recht warmer Abend und der Mond ging bereits auf, als die Sonne noch die Landschaft in funkelndes Weiß und blutrote Schatten tauchte. Wahrscheinlich würde der Schnee bald schmelzen, dachte ich; ich trauerte ihm schon jetzt nach.
    Als ich mir eine Zigarette anzündete, bemerkte ich im Gehölz zu meiner Linken eine Bewegung und auf einmal schoss eine große weiße Häsin aus den Büschen. Sie rannte zu einem blutroten Fleck Sonnenlichts, verharrte einen Augenblick, sah nach links und rechts und hoppelte ein Stückchen weiter. Sie war ein genaues Ebenbild des Tiers, das ich in meinen Träumen gesehen hatte. Ich hätte sie beinahe gerufen, war aber geistesgegenwärtig genug, darauf zu verzichten. Die Nazis hätten mich entweder für verrückt oder verdächtig gehalten. Aber irgendwie wollte ich die Häsin streicheln und beruhigen und ihr zu verstehen geben, dass von mir keine Gefahr drohte. Ich fühlte mich wie ein Vater mit seinem Kind.
    Dann hatte sich die weiße Häsin entschieden und bewegte sich weiter. Ich sah ihr nach, wie sie fortrannte. Weißer Pulverschnee stob unter den Pfoten auf, während sie eilig zu den dunklen Eichen auf der anderen Seite sprang. Dann hörte ich ein Geräusch im Haus, drehte mich um und als ich gleich danach wieder nach draußen sah, war die Häsin verschwunden.
    Gaynor kam in makelloser Abendgarderobe herunter und nahm eine Zigarette aus meinem Etui an. Wir stimmten darin überein, dass dieser Anblick, der Sonnenuntergang über den alten Eichen und Zypressen, die vom Schnee weich gezeichneten Konturen der Dächer und die Schornsteine von Bek, der Seele gut taten. Wir hielten es wie es echte Romantiker und sprachen nicht viel, sondern genossen den Anblick, aus dem Goethe ein großes Werk hätte machen können. Ich erwähnte, dass ich einen Schneehasen über die Wiese hatte laufen sehen, worauf Gaynor mir eine befremdliche Antwort gab.
    »Oh, die wird uns nicht in die Quere kommen«, sagte er achselzuckend.
    Auch als die Dämmerung sich senkte und es merklich kühler wurde, blieben wir draußen im Mondlicht sitzen und unterhielten uns beiläufig über entfernte Verwandte und gemeinsame Bekannte. Er erwähnte einen Namen. Ich sagte, dass der Mann zu meinem Erstaunen der Nazipartei beigetreten sei. Wie konnte jemand von seiner Herkunft so etwas tun? Ich ließ die Frage im Raum stehen und wartete.
    Gaynor lachte.
    »Ach, nein, mein Vetter. Mach dir keine Sorgen um mich! Ich habe mich nicht freiwillig gemeldet. Ich bin nur der äußeren Form nach ein Nazi, ich bin Ehrenhauptmann der SS. Sie fühlen sich damit aufgewertet. Zudem ist die Uniform nützlich, wenn man heutzutage durch Deutschland reist. Nachdem ich vor einigen Wochen Berlin besucht habe, bot man mir den Rang an - und ich akzeptierte. Sie haben mir
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