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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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Sympathie für die aggressive Protzerei der geschlagenen Preußen empfand, die sich für unbesiegbar gehalten hatten. Diese stolzen Nationalisten waren es, die mit ihren markigen Sprüchen in den zwanziger Jahren den Dünger für das Gedeihen der nationalsozialistischen und bolschewistischen Bewegungen lieferten, die allerdings auf ganz unterschiedliche Ziele hinauswollten. Deutschland war geschlagen, verarmt, gedemütigt.
    Die serbische Schwarze Hand hatte sich über unsere Welt gelegt und Letztere fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Alles, was Bismarck in uns aufgebaut hatte, ein Gefühl, man diene der Einheit des Landes und erfülle eine Aufgabe, war pervertiert worden, bis es nur noch dem Gewinnstreben einiger gieriger Geschäftsleute, Industrieller, Waffenhersteller und ihrer königlichen Verbündeten diente. Vielen stieß dies sauer auf; manche übergingen es, andere wandten sich der Kunst des bitteren Realismus zu und verhalfen Männern wie Brecht und Weill zu Ruhm. Die ironisch-eingängigen Rhythmen der Dreigroschenoper bildeten die Begleitmusik zur Geschichte unseres Untergangs.
    Deutschland schwebte am Rande eines Bürgerkriegs zwischen der Rechten und der Linken. Kommunistische Kämpfer standen gegen nationalistische Freikorps. Der Bürgerkrieg war die Gefahr, die wir am meisten fürchteten. Wir wussten, was er in Russland angerichtet hatte.
    Es gibt keinen schnelleren Weg, ein Land ins Chaos zu stürzen, als panische Entscheidungen zu treffen, die darauf abzielen, eben dieses Chaos zu verhindern. Deutschland erholte sich. Viele denkende Menschen glaubten, es hätte keinen Adolf Hitler gegeben, wenn die Großmächte uns unterstützt hätten. Geschöpfe wie Hitler tauchen auf, wo ein Vakuum existiert. Sie werden heraufbeschworen aus einer Sehnsucht und getragen von unserer eigenen Negativität, von unseren faustischen Gelüsten und unserer tragischen Gier.
    Unsere Familie und unser Vermögen hatten unter dem Krieg starke Einbußen erlitten. Mein Freund, der Priester, ist in der alten deutschen Kolonie Ruanda Missionar geworden. Ich wurde ein recht bejammernswerter, einsamer Mann. Häufig riet man mir, Bek zu verkaufen. Geschäftige Schwarzmarkthändler und die aufstrebenden Faschisten machten mir Angebote, den Sitz meiner Vorfahren zu veräußern. Sie glaubten, sie könnten sich die Macht des Ortes auf gleiche Weise erkaufen wie die großen Häuser und Automobile.
    Da ich mich viel umfassender als zuvor um den Unterhalt meines Besitzes kümmern musste, lernte ich in gewisser Weise einige Dinge über die Unsicherheiten und Ängste, mit denen der durchschnittliche Deutsche zu kämpfen hatte, der sein Land am Rande des völligen Zusammenbruchs sah.
    Es war leicht, den Siegern die Schuld zu geben. Wohl wahr, ihre Bedingungen waren eine harte Strafe, der Friedensvertrag von Versailles war ungerecht, unmenschlich und dumm; es war das Gift, das die Nazis in München und anderen Teilen Bayerns zu ihrem Vorteil zu nutzen verstanden.
    Selbst als die allgemeine Unterstützung nachzulassen begann, konnte die Nazipartei noch fast überall in Deutschland die Macht an sich reißen. Eine Macht, die sie ursprünglich den Juden zugeschrieben hatten. Doch am Ende beherrschten sie im Gegensatz zu den Juden auch die Medien. Im Radio, in den Zeitungen und Zeitschriften und im Kino erzählten sie den Menschen, wen man lieben und hassen sollte.
    Wie bringt man eine Million Nachbarn um?
    Zuerst einmal sagt man, sie wären anders. Sie sind nicht wie wir. Keine Menschen, uns nur oberflächlich ähnlich. Sie tun lediglich so, als wären sie wie wir. Trotz aller gemeinsamen Erfahrungen sind sie unter der Oberfläche böse. Dann vergleicht man sie mit unreinen Tieren und beschuldigt sie, heimtückische Pläne gegen uns auszuhecken. Sehr bald hat man den notwendigen Irrsinn heraufbeschworen, um einen Holocaust zu veranstalten.
    Das ist natürlich keineswegs ein neues Phänomen. Die amerikanischen Puritaner haben jeden, der nicht ihre Ansichten teilte, als gottlos und böse und als Hexer beschimpft. Andrew Jackson begann einen Scheinkrieg, den er angeblich gewinnen musste, um den indianischen Völkern das ihnen vertraglich zugesicherte Land wieder zu stehlen. Die Briten und Amerikaner gingen nach China, um das Land vor dem Opium zu retten, das sie ihm vorher verkauft hatten. Die Türken mussten die Armenier als gottlose Ungeheuer brandmarken, um ein entsetzliches Gemetzel unter den Christen zu begehen. Doch abgesehen höchstens von
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