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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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Martin Luthers peinlichen Schmähungen der Juden waren mir in Bek solche Worte fremd und ich konnte nicht glauben, dass ein zivilisiertes Land sie lange hinnehmen würde.
    Doch verschreckte Nationen verzagen angesichts der Drohung eines Bürgerkrieges und flüchten sich in die Arme eines Mannes, der verspricht, ihn abzuwenden. Hitler vermied den Bürgerkrieg, weil er ihn nicht brauchte. Seine Gegner wurden ihm mittels der Wahlurnen in einem Land in die Hände gespielt, in dem damals eine der besten demokratischen Verfassungen in Kraft war, in mancher Hinsicht sogar der amerikanischen überlegen.
    Dank der Macht des Staates, den er übernahm, bekam Hitler die Gegner in seine Gewalt. Wir konnten dies alles sehen und wir hatten Angst, aber wir konnten niemanden von der drohenden Gefahr überzeugen. So viele Deutsche sehnten sich so sehr nach Stabilität, dass sie bereit waren, den Nazis zu folgen. Und tatsächlich war es leichter, das Verschwinden eines jüdischen Nachbarn zu vergessen als die Sorgen um die eigenen Verwandten.
    Die einfachen Menschen wurden auf diese Weise verleitet, zu Komplizen des Bösen zu werden, teils durch Taten, teils durch Worte und teils durch furchtbares Schweigen. Sie wurden zu einem Teil des Systems und verteidigten es gegen ihr eigenes Gewissen. Sie hassten sich, wie sie die anderen hassten und tauschten echte Selbstachtung gegen prahlerische Selbstbeweihräucherung ein. So entwerteten sie sich selbst als Bürger.
    Auf diese Weise bringt uns eine moderne Diktatur dazu, uns selbst in ihrem Namen zu beherrschen. Wir lernen, unsere Verachtung für uns selbst mit billiger Rhetorik zu überspielen, mit sentimentalem Geschwätz, mit Bekundungen unseres guten Willens und Unschuldsbeteuerungen und der Behauptung, wir wären doch auch selbst nur Opfer. Wer sich widersetzt, wird letzten Endes getötet.
    Trotz meiner Entschlossenheit, mich für den Frieden zu verwenden, übte ich mich weiter im Schwertkampf. Es war weit mehr als ein bloßer Zeitvertreib geworden. Es wurde mir ein wichtiges Anliegen und irgendwie wohl auch eine Methode, das wenige unter Kontrolle zu halten, das ich in meinem Leben noch unter Kontrolle halten konnte. Um die Rabenklinge zu schwingen, musste man eine sehr gründliche Ausbildung absolvieren. Das Schwert war so vollendet ausbalanciert, dass man es mühelos mit einer Hand herumwirbeln konnte. Es bestand aus schwerem und doch biegsamem Stahl und besaß ein Eigenleben. Es schien sich wie eine Flüssigkeit in meinen Händen zu bewegen, während ich übte.
    Die Klinge war mit gewöhnlichem Stein nicht zu schärfen. Von Asch hatte mir einen speziellen Schleifstein gegeben, in den Diamantsplitter eingearbeitet waren. Nicht, dass die Klinge jemals hätte ausgiebig geschärft werden müssen.
    Freudianer, die eifrig damit beschäftigt waren, unser Chaos in jenen Tagen zu analysieren, hätten zu meiner Vorliebe für die Klinge und zu meinem Zögern, mich von ihr zu trennen, einiges zu sagen gewusst. Ich hatte allerdings das Gefühl, aus der Waffe Kraft zu schöpfen. Es war nicht die brutale, raubtierhafte Macht, die die Nazis so liebten, sondern eine ständige Stärkung.
    Ich hatte das Schwert immer dabei, wenn ich mich auf eine meiner seltenen Reisen begab. Ein Handwerker aus dem Ort hatte mir eine Art Gewehrfutteral angefertigt, in das Rabenbrand genau hineinpasste, sodass ich einem zufälligen Beobachter, der mich mit geschultertem Futteral sah, wie ein Landsmann vorkam, der einen Jagd- oder Angelausflug unternahm.
    Was auch immer mit Bek geschah, dachte ich mir, mein Schwert und ich würden überleben. Ich kann Ihnen nicht erklären, welche symbolische Bedeutung das Schwert für mich hatte, abgesehen davon, dass es mindestens seit einem Jahrtausend in Besitz und Gebrauch meiner Familie gewesen war, dass es angeblich für Wotan geschmiedet worden war, dass es bei Roncesvalles das Schlachtenglück gewendet hatte, dass es die riesigen Pferde der karolingischen Kavallerie gegen die Berber geführt, die dänischen Könige bei Hastings verteidigt und den Sachsen im Exil in Byzanz und darüber hinaus gedient hatte.
    Ich glaube, ich war auch abergläubisch, wenn nicht sogar völlig verrückt, denn ich spürte, dass zwischen mir und dem Schwert eine besondere Verbindung bestand. Etwas, das über Tradition und Romantik weit hinausging.
    Unterdessen sank in Deutschland der Lebensstandard immer weiter ab.
    Auch die Stadt Bek mit ihren verträumten Giebelhäusern, den windschiefen alten
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