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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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    Wenn die bunten Fahnen wehen
    »OH LORD, won’t you buy me a Mercedes Benz«, röhrt Janis Joplin durch den Kinosaal. Ich greife in die Popcorntüte. Besser jetzt essen, bevor mir nachher der Appetit vergeht. Der ›Baader Meinhof Komplex‹ verschwindet als Schriftzug von der Leinwand. Die Musik spielt weiter. Lange habe ich auf diesen Film gewartet. Er beginnt mit einer Strandszene. Sylt im Sommer 1967. Sylt und FKK .
    O Herr, kannst du mir statt eines Benz’ nicht Handtücher kaufen, damit ich sie all den Nackedeis überwerfen kann – jetzt, sofort? Ich schaue links und rechts die Sitzreihen entlang, ob jemand kichert. Oder »typical Germans« murmelt. Alles ruhig. Nur Baxter, unser Freund und Lieblingssurfer, lächelt entspannt in sich hinein. Vielleicht wartet er darauf, dass David Hasselhoffs Name auf der Leinwand erscheint. Baxter behauptet, dass The Hoff der berühmteste Schauspieler in Deutschland sei. Er kennt bisher erst zwei Menschen aus diesem fernen Land, und die anständig bekleidet: Lukas und mich.
    18 000 Kilometer vom Deutschen Herbst entfernt sitze ich im Kinosessel und mache mir mal wieder Sorgen, wie wir rüberkommen. Kollektivschämen nennt man das. Genauer: Immigrantenparanoia. Dabei sind Nudisten noch das harmloseste der Klischees, die mich verfolgen. Meine Sorgen sind diesmal unbegründet. 143 Minuten später, als Schleyers Leiche im Herbstlaub liegt und der Abspann beginnt, atme ich auf. Ob das Mammutwerk nur ein Abziehbild der deutschen Terrorjahre zeigt, darüber sollen sie sich in Kreuzberger Antifa-Gruppen den Kopf zerbrechen. Für mich zählt: Endlich sieht der am weitesten entfernte Rest der Welt, dass aus meinem verspießerten Leberwurstland auch solche Typen kommen. Keine Lederhosen, keine Blasmusik, keine Befehle. Okay, Befehle dann doch ein paar. Schießbefehle.
    Ich bin aufgewühlt, als ich ins Kinofoyer trete. Zwei Stunden lang war ich wieder in dem Land, aus dem ich Bundesrepublikflucht begangen habe. Baxter wippt in seinen Flipflops vom Ballen zur Ferse und sieht eher ratlos aus. Er zieht sich eine Wollmütze auf die vom Salzwasser gebleichten Haare. Auf seinem verwaschenen Rock-’n’-Roll-T-Shirt sind zwei kleine Fächerschwanzvögel über dem Schriftzug ›Fly My Pretties‹ abgebildet.
    »Ganz schön viel Action«, sagt er zu Lukas, der sich in ein Cordjackett aus dem Second-Hand-Shop windet. Baxter überlegt. »Aber wer jetzt wer ist, und warum, hab ich dann am Ende nicht mehr kapiert. Das war alles zu schnell. Aber echt cool, die Leute.«
    Er studiert den Flyer vom Christchurch Filmfestival.
    »Was ich auch nicht verstehe«, sagt er, »RAF – das ist doch die Royal Airforce?«
    Lukas erklärt die ›raff‹. Oder versucht es, mit radikalen Thesen im Taschenformat. Dabei lag mein Mann 1968 noch im Kinderwagen.
    »Mhhm, interessant«, sagt Baxter und strebt dem Ausgang zu. »Klingt wie die IRA, aber mit mehr Sex. Lagen denn die Frauen wirklich nackt auf dem Dach in Palästina rum? Echt krass.«
    Ich werde wieder rot. Er kratzt sich unter der Mütze.
    »Und der Mauerfall damals, da war ja auch was los bei euch, oder?«
    Baxter hat ›Das Leben der anderen‹ beim letzten Filmfestival gesehen und davor ›Der Untergang‹. Mit dieser Trilogie sind wir abgehandelt. Mehr verwirrt.
    »Demnächst das italienische Filmfestival, okay? Ist vielleicht lustiger.« Lukas knufft ihn in die Schulter. Ich umarme Baxter zum Abschied, aber vorsichtig, denn ich fühle mich wie ein exotisches Tier aus dem Zoo. Bei dem weiß man auch nicht, ob es noch beißt.
    Lukas ist im Auto stiller als sonst. Er lässt das Steuer mit einer Hand los und greift in die halb leere Popcorntüte auf meinem Schoß.
    »Ach, Anke, bevor ich’s vergesse«, sagt er und kaut, »sie machen bald schon wieder ein Fest.« Irgendwie klingt er belegt. Stuttgart-Stammheim kann daran aber nicht schuld sein.
    »Eine Spätsommerparty.«
    Ein Fest, wie nett. Immer gut drauf, diese Kiwis – besonders seine Kollegen. Das mag ich.
    »Was ist denn diesmal das Motto?«
    Ich bin bereits ein alter Hase. Seit unserer Ankunft jagt eine Motto-Party die nächste. Jedes Mal wird sich dafür so originell wie möglich kostümiert, das ist man der britischen Tradition schuldig. Auch wir scheuen keine Kosten und Mühen, um mitzuhalten. Die Second-Hand- und Scherzartikelläden der Stadt haben wir längst geplündert. Zu meinen ersten Anschaffungen als Neueinwanderin gehörten falsche Augenwimpern und
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