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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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zum Bürgerkrieg.)
    Es gibt pro Kopf mehr Dudelsackspieler als in Schottland.
    Dank des Politikers David Lange ist Aotearoa heute atomfrei. (Als der unprätentiöse Premierminister beerdigt wurde, gab es Würstchen vom Grill.)
    Kinder spielen nicht in Sandkästen, sondern am Strand.
    Gegen Neuseeland sprach:
    Es ist verdammt weit weg.
    Das mit dem ›verdammt weit weg‹ hat sich schon bald nach der Ankunft gelegt. Eigentlich ist Europa verdammt weit weg. Dafür ist Sydney ziemlich nah. Und die Antarktis. Und Fidschi. Es ist alles relativ. Ich versuche, die Welt nicht mehr eurozentristisch zu sehen, auch wenn es schwerfällt. Der Nabel kann überall sein, schließlich ist die Erde rund.
                
    Späßchen wie Delfine betatschen oder sich auf alten Autoreifen durch unterirdische Höhlen treiben zu lassen, in denen Glühwürmchen funkeln, die sind erst mal abgehakt. Schließlich sind wir keine Besucher mehr, sondern Bleiber. Es geht um mehr als Abenteuer, Auszeit und eine reibungslose Geburt. Wo andere Urlaub machen, leben wir jetzt, und damit ist der Urlaub vorbei.
    Bei der zweiten Ankunft, diesmal in der neuen Heimat, wurden wir zwar wieder wie Ehrengäste begrüßt. »Welcome back!«, sagte die Beamtin freudestrahlend, als sie durch unsere Pässe blätterte. Trotzdem war das Gefühl anders, und das nicht nur, weil sie eine Pakeha, also Weißhaut europäischer Abstammung, war.
    Diesmal hatte ich mich moralisch und musikalisch durch eine DVD von Flight of the Conchords auf meine neue Heimat vorbereitet. Auch wenn ich sicher parteiisch bin, behaupte ich: Flight of the Conchords sind das beste Komikerduo der Welt. Oder das komischste Musikerduo der Welt. Sie mussten erst Neuseeland verlassen, um in Amerika als gestrandete Kiwis mit seltsamem Akzent berühmt zu werden. In New York begrüßt sie ihr neuer Freund Dave: »Ihr Jungs seht heute cool aus. Sonst tragt ihr doch immer Klamotten aus den Siebzigern.« Sänger Jemaine: »Die sind nicht aus den Siebzigern, die sind aus Neuseeland.« Dave: »Ist das nicht das Gleiche?«
    Wer aus seiner Kauzigkeit so gut Kapital schlagen kann, macht jeder Einwandererfamilie Hoffnung. Seit der Ankunft ohne Rückflugticket sehe ich nicht mehr nur mit frisch verliebtem Blick auf dieses Land, sondern prüfe es, wenn auch nicht für die Ewigkeit, zumindest für die nächsten Jahre. Also eine halbe Ewigkeit.
    Am Anfang war der Blick noch ungetrübt. Kein Wunder, wenn man bereits morgens auf dem Schulweg an einer Honesty Box vorbeikommt. Die kleine Kiste steht vor einem maroden Gartenzaun in einem Bretterverschlag. Der ist so etwas wie ein Kiosk am Straßenrand. Darin sind Gartenprodukte, aber kein Verkäufer.
    »Da steck ich das Geld rein?«, fragt Otto. Er zählt drei Dollar in das Ehrlichkeitskästchen. »Man nimmt sich einfach die Tomaten?« Ich nehme sie mir. »Niemand zählt nach?« Niemand zählt nach oder kontrolliert. Und wenn keine Tomaten da sind, gibt es Eier.
    In der Grundschule lernt Otto alle Lieder auf Englisch wie auf Maori. Seine reizende Lehrerin begrüßt die Kinder morgens in der zweiten Landessprache und sagt ihnen in jeder Unterrichtsstunde, wie wunderbar sie alle sind. Die Mathe-Hausaufgaben? Beim Abwiegen helfen, wenn wir einen Kuchen backen. Das Einmaleins kann man dennoch üben.
    Ein Mädchen in Jakobs Klasse hat motorische Schwierigkeiten. In Deutschland wäre sie bereits in die Parallelwelt einer Sonderschule abgetaucht. Hier gibt es eigene Betreuer, die geistig und körperlich Behinderte durch den normalen Schulalltag lotsen, ihnen beim Buchstabieren oder beim Sport helfen.
    Niemand spricht von der Pisastudie. Niemand macht sich Sorgen, welches Kind es aufs Gymnasium schafft. Niemand setzt Schule mit Stress, Streit, Druck, Versagen gleich. Niemand hält den Schülern vor, was sie alles nicht können. Niemand erwartet von Müttern – denn auf die läuft es meistens hinaus –, dass sie mit dem Tag der Einschulung den Beruf aufgeben. Alle Schulen sind Ganztagsschulen.
    Was begeistert mich noch? Dass ich keinen Verkehr vor unserem Fenster höre, beim Schreiben auf Wasser und Berge schaue, dass ein gusseiserner Kaminofen in der Küche steht und ein Zitronenbaum hinterm Haus. Ich kann kaum glauben, dass ich in einer Redaktion in Auckland anrufe und sofort zum Chefredakteur durchgestellt werde, ohne irgendjemanden dort persönlich zu kennen. Und noch weniger kann ich glauben, wie unbeschreiblich nett Menschen zu mir sind, die mich gar nicht
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