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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu
Autoren: Paul Auster
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gebiert Gutes, Böses gebiert Böses, und selbst wenn das Gute, das man gibt, durch Böses zunichte gemacht wird, hat man keine andere Wahl, als weiter mehr zu geben, als man bekommt. Warum, so Willy wörtlich, sollte man sonst noch leben wollen.
    Alice war die erste, die ihm gegenüber von »Familienurlaub« sprach. Das war am Samstag nach Thanksgiving, und sie war soeben mit einer Klarsichttüte voller Truthahnreste und Füllung, weiteren Wunderwerken aus Pollys weißer Küche, in den Garten gekommen. Bevor sie das Essen in seinen Napf gab, hockte sie sich vor ihn und sagte: »Es ist alles geregelt, Sparky. Wir machen Urlaub, die ganze Familie. Nächsten Monat, wenn Ferien sind, fährt Daddy mit uns nach Disney World.« Sie schien so glücklich und aufgeregt, daß Mr. Bones dies für eine gute Nachricht hielt, und da ihm nicht im Traum eingefallen wäre, daß Alices »wir« und »uns« ihn ausschlössen, interessierte er sich mehr fürs Fressen als für die möglichen Konsequenzen dieser Sätze. Er brauchte ungefähr dreißig Sekunden, um den Truthahn zu verputzen, und nachdem er einen halben Napf Wasser weggeschlappt hatte, streckte er sich im Gras aus und lauschte Alices ausführlichen Erklärungen. Tiger werde es bestimmt toll finden, Micky Maus und Donald Duck zu besuchen, sagte sie, und obwohl sie aus diesem Kinderkram herausgewachsen sei, erinnere sie sich noch gut daran, wie sehr sie selbst sie als Kind geliebt habe. Mr. Bones wußte, wer diese Micky Maus war, und nach dem, was man ihm so erzählt hatte, war er nicht sonderlich beeindruckt. Wer hatte je von einer Maus gehört, die sich einen Hund hielt? Das war wirklich lächerlich, eine Beleidigung von gutem Geschmack und gesundem Hundeverstand, und es stellte die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf. Jeder Idiot hätte einem sagen können, daß es andersherum sein mußte. Die großen Geschöpfe herrschten über die kleinen, und wenn er sich einer Sache auf dieser Welt sicher war, dann der, daß Hunde größer waren als Mäuse. Es verwirrte ihn schon sehr, Alice an jenem Samstagnachmittag Ende November so begeistert von ihrer bevorstehenden Reise erzählen zu hören, während er da im Gras lag. Er konnte einfach nicht begreifen, warum die Menschen Hunderte von Meilen zurücklegten, nur um eine falsche Maus zu sehen. Das Leben mit Willy mochte nicht viele Vorzüge gehabt haben, aber niemand konnte Mr. Bones vorwerfen, nicht herumgekommen zu sein. Er war überall gewesen und hatte wirklich alles gesehen. Es ging ihn ja eigentlich nichts an, aber wenn die Jones nach einem interessanten Ort suchten, um dort Urlaub zu machen, hätten sie nur ihn zu fragen brauchen, und er hätte sie liebend gern an ein ganzes Dutzend schöner Fleckchen geführt.
    Das restliche Wochenende fiel kein Wort mehr zu diesem Thema. Am Montagmorgen jedoch, als er Polly mit ihrer Schwester am Telefon reden hörte, wurde ihm klar, wie sehr er Alice mißverstanden hatte. Es ging keineswegs darum hinzufahren, um die Maus zu sehen, umzukehren und wieder nach Hause zu fahren; es ging um zwei Wochen Zerstreuung und Bewegung. Es ging um Flugzeuge und Hotels, Mietwagen und Schnorchelausrüstungen, Restaurantreservierungen und Familienrabatte. Und es ging nicht nur um Florida, sondern auch um North Carolina, und während Mr. Bones zuhörte, wie Polly mit Peg Vorbereitungen für den Weihnachtsbesuch bei ihr in Durham traf, dämmerte ihm endlich, daß sie, wohin auch immer dieser Familienurlaub sie führte, ihn nicht mitnehmen würden. »Wir brauchen mal Tapetenwechsel«, sagte Polly, »vielleicht tut es uns ja gut. Wer zum Teufel weiß das schon, Peg, aber versuchen will ich es wenigstens. Meine Periode ist zehn Tage überfällig, und wenn es das ist, was ich glaube, muß ich mich ziemlich rasch entscheiden.« Und dann, nach einer kurzen Pause: »Nein. Ich habe es ihm noch nicht gesagt. Aber diese Reise war seine Idee, und ich bemühe mich, darin ein gutes Omen zu sehen.« Wieder trat Schweigen ein, und schließlich hörte Mr. Bones die Worte, die ihm sagten, was »Familienurlaub« wirklich bedeutete: »Oh, den werden wir in einen Zwinger bringen. Etwa zehn Meilen von hier soll es einen ganz netten geben.
    Danke, daß du mich daran erinnerst, Peg. Ich kümmere mich lieber gleich darum. Um Weihnachten können die ganz schön voll werden.«
    Während Mr. Bones dastand und darauf wartete, daß sie das Telefonat beendete, musterte er sie mit einer dieser trübsinnigen stoischen Mienen, die Hunde
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