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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu
Autoren: Paul Auster
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und diesen Pingel rausschmiß, würde sich die Atmosphäre weiter mit der Spannung von Intrigen und unterdrückten Feindseligkeiten, den Ränken und Komplotten einer absterbenden Liebe aufladen. Mr. Bones tat sein Bestes, um sich an all das zu gewöhnen. Doch es gab noch so viel Neues, so viele Dinge, die gelernt und verstanden werden mußten, daß die Höhen und Tiefen von Pollys Ehe nur einen Bruchteil seiner Gedanken beherrschten. Die Familie Jones hatte ihm eine völlig andere Welt gezeigt als die, die er durch Willy kennengelernt hatte, und es verging nicht ein Tag, an dem ihm nicht eine plötzliche Erkenntnis kam oder ihm schmerzlich bewußt wurde, was ihm in seinem bisherigen Leben gefehlt hatte. Es waren nicht nur die täglichen Autofahrten, die regelmäßigen Mahlzeiten, die Freiheit von Zecken und Flöhen in seinem Fell. Es waren auch die Barbecues auf der Terrasse, die Steakknochen, an denen er knabbern durfte, die Wochenendausflüge an den Lake Wanacheebee, wo er mit Alice im kühlen Wasser schwamm, das allgemeine Gefühl der Erhabenheit und des Wohlbefindens, das ihn einhüllte. Er war im Amerika der Doppelgaragen, Hypotheken und Shopping-Malls im Neo-Renaissance-Stil gelandet, und es stand fest, daß er nichts dagegen einzuwenden hatte. Willy hatte sich dagegen stets zur Wehr gesetzt und in seiner einseitigen, komischen Manier dagegen gewettert, aber er hatte sich nur von außen die Nase an der Scheibe plattgedrückt und sich geweigert, es mal damit zu versuchen. Nun, da Mr. Bones zu dieser Welt gehörte, fragte er sich, wo sein altes Herrchen vom Weg abgekommen war und warum er sich soviel Mühe gegeben hatte, das gute Leben zu verschmähen. Es war vielleicht nicht alles im Lot hier, aber es hatte viele gute Seiten, und wenn man sich erst daran gewöhnt hatte, wie das System funktionierte, schien es gar nicht mehr so wichtig, daß man den ganzen Tag angekettet war. Wenn man erst zweieinhalb Monate hier war, war es einem sogar egal, daß man Sparky hieß.

 
5
     
    Die Vorstellung von einem Familienurlaub war Mr. Bones völlig unbekannt. Damals als Welpe, in Brooklyn, hatte er Mrs. Gurevitch manchmal von »Urlaub« sprechen hören, aber nie so, daß er es mit dem Wort »Familie« hätte in Verbindung bringen können. Momsan ließ dann plötzlich ihre Hausarbeit liegen, plumpste aufs Sofa, legte die Füße auf den Beistelltisch und gab einen langen, von Herzen kommenden Seufzer von sich. »Es reicht«, sagte sie dann. »Ich bin auf Urlaub.« Diesem Wortgebrauch zufolge schien »Urlaub« ein Synonym für »Sofa« zu sein, vielleicht auch nur eine elegantere Umschreibung dafür, sich hinzusetzen. Jedenfalls hatte es nichts mit Familie zu tun - und schon gar nicht mit dem, was er sich unter Verreisen vorstellte. Verreist war er mit Willy, und er konnte sich nicht daran erinnern, daß seinem Herrchen in all den Jahren, die sie gemeinsam auf der Straße verbracht hatten, ein einziges Mal das Wort »Urlaub« über die Lippen gekommen wäre. Das hätte vielleicht anders ausgesehen, wenn Willy irgendwo angestellt gewesen wäre, aber abgesehen von den Aushilfsjobs, die er unterwegs annahm (in einer Bar in Chicago den Fußboden fegen, sich bei einem Kurierdienst in Philadelphia zum Boten ausbilden lassen), war er immer sein eigener Herr gewesen. Die Zeit war ununterbrochen dahingeflossen, und ohne die Notwendigkeit, den Kalender in Arbeitszeiten und Ruhepausen einzuteilen, oder irgendeinen besonderen Grund, sich um weltliche und kirchliche Feiertage oder Jahrestage zu kümmern, hatten sie in ihrer eigenen Welt gelebt, frei von jeglichem Zwang, auf die Uhr zu schauen und die Stunden zu zählen, womit so viele Menschen ihre Zeit vergeudeten. Der einzige Tag im Jahr, der sich von den anderen unterschied, war der Weihnachtstag, aber Weihnachten war kein Urlaub, sondern Arbeit. Egal, wie hungrig oder verkatert, am 25. Dezember war Willy stets in sein Weihnachtsmannkostüm geschlüpft und den ganzen Tag durch die Straßen gelaufen, um Hoffnung und Freude unter die Menschen zu bringen. Dies sei seine Art, seinen geistigen Vater zu ehren und sich an sein Gelübde der Reinheit und Selbstaufopferung zu erinnern, hatte er gesagt. Mr. Bones war das Gerede seines Herrchens über Freude und Brüderlichkeit immer ein bißchen zu einfältig erschienen, doch so schmerzlich es war, ihr Essensgeld an einen Menschen verschwendet zu sehen, dem es besser ging als ihnen, wußte er doch, daß hinter Willys Wahn Methode steckte. Gutes
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