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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu
Autoren: Paul Auster
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für die Menschen schon seit vierzigtausend Jahren aufsetzen. »Keine Sorge, Sparky Schönling«, sagte sie, als sie auflegte. »Es dauert nur zwei Wochen. Bis du anfängst, uns zu vermissen, sind wir schon wieder zurück.« Dann beugte sie sich hinab, drückte ihn und fügte hinzu: »Du wirst mir bestimmt viel mehr fehlen als ich dir. Du bist mir nämlich wirklich ans Herz gewachsen, mein Alter, und ohne dich könnte ich gar nicht mehr leben.«
    Na, sie würden also zurückkommen. Dessen war er sich ziemlich sicher, aber das bedeutete nicht, daß er nicht viel lieber mitgefahren wäre. Nicht daß er große Lust darauf gehabt hätte, in einem Hotelzimmer in Florida eingesperrt zu sein oder in Frachträumen irgendwohin zu fliegen - es ging ihm eher ums Prinzip. Willy hatte ihn nie allein gelassen, nicht ein einziges Mal, unter gar keinen Umständen, und er war eine solche Behandlung einfach nicht gewöhnt. Vielleicht war er verzogen, aber seiner Meinung nach gehörte zum hündischen Wohlbefinden mehr als nur das Gefühl, gern gesehen zu sein. Man mußte auch das Gefühl haben, gebraucht zu werden.
    Die Sache war ein ziemlicher Rückschlag, aber Mr. Bones wußte auch, daß sie nicht das Ende der Welt bedeutete. Das hatte er gelernt, und unter den gegebenen Umständen hätte er sich bestimmt von seiner Enttäuschung erholt und seine Gefängnisstrafe mit Anstand abgesessen. Er hatte schließlich schon Schlimmeres durchgemacht. Doch drei Tage nachdem er die schlechte Nachricht erfahren hatte, verspürte er zum erstenmal dieses Stechen im Unterleib, und in den folgenden zweieinhalb Wochen breiteten sich die Schmerzen über seine Lenden, zu den Vorder- und Hinterbeinen, ja sogar bis in seine Kehle aus. Böse Geister lauerten in ihm, und er wußte, daß Burnside sie ihm eingeblasen hatte. Der Quacksalber war viel zu beschäftigt damit gewesen, Pollys Beine zu begaffen, statt ihn gründlich zu untersuchen, und er mußte etwas übersehen haben, mußte vergessen haben, einen Test zu machen oder sein Blut unter das richtige Mikroskop zu legen. Die Symptome waren noch zu vage, um äußerlich erkennbar zu sein (auch kein Erbrechen, kein Durchfall, keine Anfälle), doch im Lauf der Zeit wurde Mr. Bones immer deutlicher bewußt, daß er gesundheitlich nicht auf der Höhe war, und statt die Geschichte mit dem Familienurlaub mit Fassung zu tragen, begann er mürrisch zu werden, zu schmollen und darüber Haare zu spalten, bis sich das, was ihm anfangs nur als kleine Unannehmlichkeit erschienen war, zu einem ausgewachsenen Unglück entwickelte.
    Nicht daß der Zwinger so übel gewesen wäre. Selbst Mr. Bones sah das ein, und als Alice und ihr Vater ihn am Nachmittag des 17. Dezembers dort ablieferten, mußte er sich eingestehen, daß Polly sich wirklich Mühe gegeben hatte. Die Hundepension war nicht Sing-Sing oder die Teufelsinsel, kein Internierungslager für mißhandelte und vernachlässigte Tiere. Auf einem knapp einen Hektar großen Grundstück gelegen, das einst zu einer großen Tabakplantage gehört hatte, war sie ein Vier-
    Sterne-Etablissement in ländlicher Umgebung, ein auf die Bedürfnisse und Wünsche der verwöhntesten und anspruchsvollsten Haustiere zugeschnittenes Hundehotel. Die Schlafkäfige säumten die Ost- und Westwand einer geräumigen roten Scheune. Insgesamt waren es sechzig, alle mit ausreichend Platz für die Gäste (mehr als in Mr. Bones’ Hundehütte daheim), und sie wurden nicht nur jeden Tag gesäubert, sondern enthielten auch eine weiche, frisch gereinigte Decke und ein ledernes Kauspiel- zeug - in Form eines Knochens, einer Katze oder einer Maus, je nach Vorliebe des Besitzers. Gleich hinter dem rückwärtigen Scheunentor lag eine achttausend Quadratmeter große Weide, die als Sportplatz diente. Es gab besondere Ernährungspläne im Angebot und jede Woche ein Bad ohne Aufpreis.
    Doch all das zählte nicht, jedenfalls nicht für Mr. Bones. Die neue Umgebung beeindruckte ihn nicht im mindesten, löste nicht das geringste Interesse bei ihm aus, und selbst nachdem er dem Besitzer, dessen Frau und verschiedenen Mitarbeitern vorgestellt worden war (alles durch und durch angenehme Hundeliebhaber), wollte er nicht bleiben. Das hielt Dick und Alice natürlich nicht davon ab wegzufahren. Mr. Bones hätte zwar am liebsten seinen Protest gegen diese gemeine Behandlung laut herausgejault, aber gegen Alices tränenreichen und liebevollen Abschied konnte er nichts einzuwenden haben. Auf seine kurzangebundene Art schien
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