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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu
Autoren: Paul Auster
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zwanzigmal, dann schloß er die Augen. Kurz bevor er wegdämmerte, gab es eine leise Störung, Schritte näherten sich, und eine Männerstimme sagte: »Laß ihn jetzt mal in Ruhe. Mal sehen, wie es ihm geht, wenn er aufwacht.«
    Mr. Bones verschlief den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag, und als er aufwachte, hatte er das Gefühl, das Schlimmste überstanden zu haben. Er war zwar nicht gerade in Bestform, aber zumindest halbwegs am Leben, und da sein Fieber ein wenig gesunken war, konnte er sich bewegen, ohne sich so zu fühlen, als bestünde sein Körper aus Ziegelsteinen. Jedenfalls ging es ihm gut genug, daß er etwas Wasser zu sich nahm, und als Beth ihren Vater rief, damit er den Hund begutachtete, übermannte ihn ein solcher Durst, daß er den ganzen Napf leer trank. Das war ein böser Fehler. Er war einfach nicht in der Verfassung, eine derartige Wassermenge zu verkraften, und kaum betrat Pat eins das Zimmer, würgte Mr. Bones prompt seinen Mageninhalt auf den Teppich.
    »Verdammt noch mal, wenn die Leute uns nur nicht immer ihre kranken Hunde aufhalsen würden«, sagte der Mann. »Fehlt uns gerade noch, daß der hier krepiert. Dann hätten wir einen hübschen Prozeß am Hals.«
    »Soll ich Dr. Burnside anrufen?« fragte Beth.
    »Ja. Sag ihm, ich bin schon unterwegs.« Er wollte das Zimmer verlassen, doch auf halbem Weg zur Tür blieb er stehen und wandte sich wieder an Beth. »Aber vielleicht sollte das doch lieber deine Mutter machen. Heute ist hier ziemlich viel zu tun.«
    Das verschaffte Mr. Bones zum Glück eine Pause. Bis die beiden Pat zwei aufgetrieben und die Fahrt zum Tierarzt organisiert hatten, konnte er sich einen Plan zurechtlegen. Und ohne einen Plan wäre er nie in der Lage gewesen, den nächsten Schritt zu tun. Egal, ob er krank oder gesund war, ob er überleben oder sterben würde, dieser letzte Tropfen hatte das Faß zum Überlaufen gebracht, und nur über seine Leiche würde er sich noch einmal zu diesem Quacksalber von Tierarzt bringen lassen. Deshalb brauchte er den Plan. Er würde nur ein paar Sekunden Zeit zu seiner Umsetzung haben, und die Sache mußte ihm klar vor Augen stehen, bevor es losging, damit er genau wußte, was er wann zu tun hatte.
    Pat zwei war eine ältere Ausgabe von Beth. Ein bißchen breiter gebaut, und sie trug einen roten Parka statt eines blauen, aber sie strahlte die gleiche maskuline Autorität und unerschütterliche gute Laune aus wie sie. Mr. Bones mochte beide lieber als Pat eins, und es tat ihm ein wenig leid, ihr Vertrauen mißbrauchen zu müssen, vor allem, nachdem sie ihn so freundlich behandelt hatten. Doch hier ging es um alles oder nichts, und für sentimentale Anwandlungen blieb keine Zeit. Die Frau führte ihn an einer Leine zum Wagen, öffnete, wie er es vorhergesehen hatte, die Beifahrertür und ließ die Leine erst im letzten Augenblick los. Kaum hatte sie die Tür zugeschlagen, kletterte Mr. Bones zur anderen Wagenseite auf den Fahrersitz. Das war der
    Hauptpunkt seiner Strategie, und der Trick war, dabei genau darauf zu achten, daß sich die Leine nicht in der Schaltung oder dem Lenkrad oder irgendeinem anderen vorstehenden Teil verfing (was sie nicht tat), und in diese Position zu gelangen, bevor die Frau um die Frontseite des Wagens herumgegangen war und die Tür öffnete (was er tat). So hatte er es sich vorgestellt, und so geschah es auch. Pat zwei öffnete die Fahrertür, und Mr. Bones sprang heraus. Er lief noch im Sprung los, und bevor sie nach seinem Schwanz greifen oder auf die Leine treten konnte, war er weg.
    Er rannte zu dem Wald nördlich des Haupthauses und versuchte, sich so weit wie möglich von der Straße zu entfernen. Er hörte, wie Pat zwei ihn zurückrief, und einen Augenblick später gesellte sich zu ihrer Stimme auch die von Pat eins. Als nächstes hörte er den Motor des Wagens anspringen und das Geräusch von durchdrehenden Reifen, doch da war er längst zwischen den Bäumen verschwunden, und er wußte, sie würden ihn nie finden. Um diese Jahreszeit wurde es früh dunkel, und in einer Stunde würden sie nichts mehr sehen können.
    Er hielt sich in Richtung Norden und lief durch das überfrorene Unterholz, während das blasse Winterlicht immer schwächer wurde. Vögel schraken auf, wenn er ihnen zu nahe kam, und flatterten zu den hohen Ästen der Kiefern hinauf, und die Eichhörnchen stoben in alle Himmelsrichtungen davon, wenn sie ihn kommen hörten. Mr. Bones wußte, wohin er wollte, und obwohl ihm nicht ganz
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