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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu
Autoren: Paul Auster
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sogar Dick ein wenig traurig darüber zu sein, sich verabschieden zu müssen. Dann stiegen sie in den Wagen und fuhren davon, und während Mr. Bones ihnen nachschaute, wie sie den Feldweg entlangrumpelten und dann hinter dem Haupthaus verschwanden, bekam er eine erste Vorahnung davon, in welcher Patsche er steckte. Er hatte nicht nur den Blues, stellte er fest, und er war nicht nur verängstigt. Irgend etwas stimmte ernsthaft nicht mit ihm, und was immer sich an Üblem in ihm zusammenbraute, stand kurz vor dem Ausbruch. Der Kopf tat ihm weh, sein Magen brannte, und ihm war eine Schwäche in die Glieder gefahren, die ihm selbst das Stehen schwermachte. Man gab ihm zu fressen, aber bei dem Gedanken daran wurde ihm schlecht. Man gab ihm einen Knochen zum Knabbern, aber er wandte den Kopf ab. Er konnte nur Wasser zu sich nehmen, doch wenn man ihm den Wassernapf vor die Schnauze schob, schaffte er nur zwei Schlucke.
    Er wurde in einen Käfig zwischen einer keuchenden, zehn Jahre alten Bulldogge und einem herrlichen bernsteinfarbenen Labradorweibchen gesteckt. Gewöhnlich hätte ein Weibchen dieses Kalibers seine Nase in lustvolle Zuckungen versetzt, doch in jener Nacht hatte er kaum genug Kraft, die Hündin zu bemerken, bevor er auf seine Decke fiel und ohnmächtig wurde. Kaum hatte er das Bewußtsein verloren, träumte er wieder von Willy, doch diesmal unterschied sich der Traum völlig von seinen Vorgängern, und statt der besonnenen Ermutigungen und sanften Argumente bekam er den ganzen Zorn seines Herrchens zu spüren. Vielleicht war es das Fieber, das in ihm brannte, vielleicht war Willy in Timbuktu aber auch etwas zugestoßen, denn der Mann, der Mr. Bones in jener Nacht aufsuchte, war nicht der Willy, den er in den letzten siebendreiviertel Jahren gekannt hatte. Dies war ein rachsüchtiger, sarkastischer Willy, ein teuflischer Willy, ein Willy ohne Mitleid und Güte, und der arme Mr. Bones hatte solche Angst vor diesem Menschen, daß er die Kontrolle über seine Blase verlor und sich zum erstenmal seit seinen Welpentagen anpinkelte.
    Um die Sache noch verwirrender zu machen, sah der falsche Willy genauso aus wie der echte, und in dem Traum in jener Nacht trug er dasselbe zerschlissene Weihnachtsmannkostüm, in dem der Hund ihn in den vergangenen sieben Weihnachtszeiten gesehen hatte. Am schlimmsten aber war, daß der Traum nicht an einem vertrauten Ort aus der Vergangenheit stattfand - wie der in der U-Bahn -, sondern in der Gegenwart, genau in dem Käfig, in dem Mr. Bones die Nacht verbrachte. Er schloß die Augen, und als er sie im Traum wieder aufschlug, war Willy da und saß in der Ecke, keinen Meter vor ihm, den Rücken an die Gitterstäbe gelehnt. »Ich sag’s dir nur einmal«, sagte Willy, »also hör genau zu und halt die Schnauze. Du hast einen Witz aus dir gemacht, einen lahmen, abgeschmackten Witz, und ich verbiete dir, mich dir je wieder ins Gedächtnis zu rufen. Vergiß das nicht, du Köter. Schreib’s dir auf die Torpfosten deines Hundepalasts und benutz nie wieder meinen Namen - nicht mißbräuchlich, nicht liebevoll, überhaupt nicht mehr. Ich bin tot, und ich will, daß man mich in Ruhe läßt. All dieses Rumgejammer, dieses Gemecker darüber, was dir zugestoßen ist - meinst du, ich hör das nicht? Ich hab die Nase davon voll, du Töle, und dies ist das letzte Mal, daß du mich im Traum siehst. Verstehst du das? Laß mich endlich los, Spatzenhirn. Gib mir Freiraum. Ich hab neue Freunde, ich brauch dich nicht mehr. Kapiert? Kümmere dich um deinen eigenen Kram, und halt dich da raus. Ich bin fertig mit dir.«
    Am Morgen war das Fieber so hoch, daß Mr. Bones doppelt sah. Sein Magen hatte sich in ein Schlachtfeld verfeindetet Mikroben verwandelt, und sobald er sich bewegte, sich auch nur einen oder zwei Zentimeter von der Stelle wegrührte, wo er lag, starteten sie einen neuen Angriff. Es fühlte sich an, als würden Wasserbomben in seinen Gedärmen gezündet, als fräße Giftgas an seinen Eingeweiden. In der Nacht war er mehrmals aufgewacht und hatte sich unkontrollierbar übergeben müssen, bis der Schmerz sich gelegt hatte, doch diese Ruhepausen waren nie sehr lang gewesen, und als es endlich Tag wurde und das Licht durch die Dachsparren der Scheune fiel, sah er, daß er von einem halben Dutzend Lachen von Erbrochenem umgeben war: Klümpchen eingetrockneten Schleims, halbverdaute Fleischreste, Flecken geronnenen Bluts, gelbliche, namenlose Brühe.
    Um ihn herum tobte ein Riesenkrach, doch Mr.
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