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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen
Autoren: Carrie Ryan
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machst. Einige von diesen Mudos sind immer noch gefährlich.«
    Er schubst mich zur Seite und dreht den Körper mit seinem Spaten um. Ich schlage die Hände vors Gesicht und spähe zwischen meinen Fingern hindurch.Aber es ist nicht Jed. Mit allen Körpern am Strand machen wir das so. Jedes Mal krampft sich mein Magen zusammen, und ich bete, dass ich meinen Bruder nicht auf dem Gewissen habe. Geduldig führt mich der Mann von einem zum anderen und wendet sie, damit ich sehen kann. Dann hackt er schnell die Köpfe ab, als wäre das etwas so Normales wie Löcher graben.

    Wir schauen uns jeden Körper am Strand an. Jed finden wir nicht.
    »Die Küste ist lang«, sagt der Mann schließlich. »Vielleicht ist er irgendwo anders angespült worden. Es ist gefährlich, diese Bucht zu verlassen, aber ich begleite dich, wenn du willst. Doch er könnte auch immer noch hier angespült werden. Weiß man nie, nach einem Sturm wie dem von gestern spült hier noch tagelang was an.«
    Ich gehe bis ans Wasser und er folgt mir.
    »Warum nennst du sie Mudos?«, frage ich.
    Die Frage scheint ihn zu schockieren. Er wird sogar ein bisschen rot.
    »Mag ich wohl lieber«, sagt er etwas nuschelig. »Die Piraten, die hier manchmal herkommen, nennen sie so. Es heißt soviel wie sprachlos.« Er zuckt mit den Schultern. »Passt doch.«
    »Wo bin ich?«, frage ich und hefte den Blick auf die Linie, wo Wasser und Himmel zusammenstoßen.
    »Dieser Strand hat eigentlich keinen Namen. Zumindest seit der Rückkehr nicht. Die meisten Leute kennen diesen Ort nur unter dem Namen der Stadt auf dem Hügel.«
    Ich bohre die Zehen in den feinen Sand. Eine Welle bricht sich an meinen Knöcheln und die Füße sinken noch etwas tiefer ein. Ein paar Schnittwunden an den Waden protestieren, als sie mit dem salzigen Wasser in Berührung kommen.
    »Das Meer habe ich noch nie gesehen«, sage ich. Was Jed wohl beim Anblick dieser riesigen Wasserfläche gedacht
hätte? Ob Travis stolz gewesen wäre, dass ich es schließlich doch geschafft habe? Dass ich überlebt habe? Ich falle auf die Knie und der Mann zuckt vor Schreck zusammen. Er hockt sich neben mich, und gemeinsam schauen wir uns an, wie die Sonne das Wasser zum Glitzern bringt.
    »Normalerweise schwimmt hier nicht so viel herum«, sagt der Mann. »Stürme wie der gestern spülen das Holz aus dem Fluss an und wühlen alles ein bisschen auf, das Wasser wird dann trübe. Aber ich habe noch nie so viele Mudos gesehen.«
    Ich mag den Klang seiner Stimme. Die Tiefe, den Ton, der mit meiner Erinnerung an Travis’ Stimme verschmilzt, an die Art, wie ihm die Worte über die Lippen gekommen sind.
    »Ich wohne da oben im Leuchtturm«, sagt er und zeigt auf den Hügel hinter dem Sand, auf dem ein hoher Turm mit schrägen schwarzen Streifen steht.
    »Ist mein Job, nach den Stürmen alle zu köpfen, die angeschwemmt werden, damit sie nicht in die Stadt kommen können.«
    Ich schaue mich um. Überall am Strand liegen die Körper der Ungeweihten herum. »Was für ein Gemetzel«, sage ich.
    Er zuckt die Achseln. »Die Flut wird sie wieder wegspülen«, sagt er. »In sechs Stunden etwa wird keiner mehr ahnen, dass es hier je etwas anderes gab als Sand und Wellen. Der Strand wird wieder sein wie immer. Einfach nur ein Strand.«

    »Aber es werden noch mehr von denen kommen«, sage ich. »Es kommen immer mehr.«
    »So ist das Leben. An manchen Tagen wacht man auf, und der Strand ist sauber, da vergisst man alles um sich herum. Und manchmal wacht man auf und es sieht so aus. So ist das nun mal mit den Gezeiten.«
    Er verlagert sein Gewicht ein bisschen. »Das soll nicht heißen, dass es sich nicht lohnt, hier zu sein.«
    Ich wanke auf das Wasser zu und tunke meinen Finger hinein. »Ist das sicher?«, frage ich. »Da draußen im Wasser?«
    Wieder zuckt er die Achseln. »Einigermaßen«, sagt er. »Jetzt ist Ebbe, da werden keine Mudos mehr aus dem Meer gespült.«
    Ich gleite ins Wasser. Wellen schlagen mir entgegen, und ich kämpfe gegen sie an, um tiefer hineinzugehen. Bis meine Füße sich vom Boden lösen.
    Am Strand steht der Mann und beobachtet mich, die Spitze seines Spatens steckt vor ihm im Sand, die Hände hat er auf dem Griff gefaltet. Er wartet auf mich.
    Ich schlage mit den Beinen und lasse mich zurückfallen und vom Wasser wiegen. Mit den Fingern berühre ich meine Lippen und lecke das Salz ab.
    Eine Weile lasse ich mich vom Wasser ziehen und schieben, heben und halten. Ich beobachte den Himmel, die Wolken, die Sonne
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