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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen
Autoren: Carrie Ryan
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Dorf finden, ein gesundes. Wir könnten ein Leben haben …« Er lässt den Satz ins Leere laufen. »Das habe ich gewollt.« Er spricht so leise, dass seine Worte beinahe im Donner untergehen. »Mary, warum willst du alten Träumen hinterherjagen? Was kann das Meer dir geben und wir nicht?«
    Ob er recht hat? Sind meine Träume vom Meer nichts anderes als Kinderträume? Hirngespinste? Wie konnte ich je glauben, es gebe einen von der Rückkehr unberührten Ort? Eine lebendige Welt außerhalb des Waldes.
    Ich denke daran, umzukehren, den Pfad zurückzugehen, seinen Windungen zu folgen, nie wissend, ob wir in die richtige Richtung laufen.

    »Warte wenigstens bis morgen früh, bevor du eine Entscheidung triffst«, sagt Jed. Seine Stimme ist sanft, er spürt mein Zögern. Dann nimmt er mich beim Handgelenk und zieht mich wieder den Pfad hinauf. Und ein Teil von mir möchte sich fügen.
    Ich höre ein Stöhnen, das vertraute Geräusch von knackenden Knochen, als die Ungeweihten ihre Finger durch den Maschendraht zwängen.
    »Aber morgen ist es zu spät«, sage ich und reiße mich los. »Morgen haben die Ungeweihten uns schon umzingelt. Sie werden vor dem Tor stehen.«
    Jed weist mit der Hand auf den Zaun,Wasser spritzt von seinen Fingern. »Jetzt sind sie auch überall und du willst da rausgehen?«
    »Aber jetzt regnet es, Jed. Da wittern sie mich nicht. Dies ist der einzige Zeitpunkt, zu dem ich gehen kann.«
    Meine Glieder beginnen, vor Angst zu schlottern, deshalb stemme ich eine Hand in die Hüfte und hoffe, dass er nicht mitkriegt, wie die Axt in meiner anderen Hand zittert. Denkt er, dass mir der Mut fehlt, die Sache durchzuziehen? Dass ich zum Tor gehen und dann zögern werde? Die Nerven verliere und umkehre?
    »Mary, das funktioniert nicht. Ich habe es mit Beth bei Regen versucht, aber sie wurde trotzdem angegriffen.«
    »Sie wurde von Gabrielle angegriffen«, erwidere ich. »Und Gabrielle ist weg.« Ich denke an ihren ausgetrockneten Körper bei unserer letzten Begegnung. Hat sie inzwischen Frieden gefunden oder lebt sie noch weiter und starrt bewegungsunfähig in den Himmel?

    Jed schüttelt immer noch ablehnend den Kopf, aber ich stehe gerade da, mit gestrafften Schultern. Und ich widerstehe dem Drang, die Augen zu schließen, als ich die Hand auf den Riegel lege, der das Tor verschließt.
    »Ich habe Travis versprochen, nicht aufzugeben«, sage ich. »Ich habe ihm versprochen, dass ich ›sicher und ruhig‹ nicht akzeptieren werde. Nicht auf Kosten meiner Träume.«
    »Was sind deine Träume noch wert, wenn du tot bist?«, fragt er mit sanfter Stimme.
    Anstelle einer Antwort öffne ich die Verriegelung und schlüpfe durch die Öffnung. Ich habe mich schon ein paar Schritte entfernt, als Jed mir nachruft.Aber ich bleibe nicht stehen.
    Jetzt bin ich im Wald der tausend Augen. Ungeschützt von Zäunen. Am Tor sind keine Ungeweihten und ich sehe und höre sie auch nicht in der Dunkelheit.
    Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich diejenige auf der anderen Seite des Zaunes.
    Ich renne, meine Arme bewegen sich pumpend vor und zurück, die Axt halte ich fest im Griff. Um mich herum tobt das Gewitter, und ich höre, wie Bäume umstürzen, Äste vom Wind gezaust werden. Ich weiß nicht, ob die Geräusche um mich herum von den Ungeweihten stammen. Den Blick habe ich auf den Boden vor mir geheftet, und durch die glänzende Dunkelheit hindurch versuche ich, auf Dinge achtzugeben, die mich zu Fall bringen, die mich schwächen könnten – oder zur Zielscheibe machen.

    Fünfzig Schritte weiter erlaube ich mir zu atmen, erlaube ich der Hoffnung, die Furcht aus meinem Herzen zu verdrängen. Ich werde es tatsächlich schaffen, geht mir auf. Dann nimmt das Krachen um mich herum zu, und mir wird klar, dass die Ungeweihten mich riechen können, obwohl ich mit Dreck und Matsch beschmiert bin. Und dann denke ich wieder an mein Knie. Ich erinnere mich an den scharfen Schmerz und das Blut.
    Jetzt sind sie mir auf der Spur, der Geruch des Blutes dringt durch die regennasse Nacht. Ich höre ihr Stöhnen. Höre ihr Echo. In mir gellt der Ruf umzukehren, solange noch Zeit ist. Zurückzulaufen zum Tor. Ein Leben mit Harry zu wählen und in unser Dorf zurückzukehren.
    Stattdessen laufe ich weiter. Die feuchte Luft versengt mir die Kehle und meine Lungen protestieren. Die Muskeln in meinen Beinen brennen, und ich merke schon, wie ich schwach werde. Der Mangel an Essen und die Tage währende Flucht vor dem Feuer sind nicht spurlos an mir
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