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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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I
    Córdoba, 7. Januar 1544
    Juan Martinez lag in seinem Bett und starrte zu den Deckenbalken empor. Im nächtlichen Zwielicht waren sie schwärzer als Tinte, und zwischen ihnen glaubte er Schatten zu sehen. Bedrohliche Schatten, die sich auf ihn zubewegten und knochige Klauen nach ihm ausstreckten. Natürlich war das Unsinn. Dort oben an der Decke zwischen den schweren Balken war nichts außer Holz und erst vor wenigen Wochen frisch geweißter Gips. Dennoch waren die Schatten da. Und sie waren real. Nicht hier, nicht in seinem Schlafgemach. Sie waren dort draußen. In den Straßen der Stadt trieben sie ihr Unwesen, schlichen um die Häuser, immer auf der Jagd nach Nahrung. Sie hatten Hunger, die Scheiterhaufen brannten schnell. Diese Schatten hatten einen Namen – Inquisition. Und sie waren unersättlich.
    Juan erschauerte. Seine Frau Suzanna neben ihm schlief fest und schnarchte sogar ein bisschen. Voller Neid lauschte er ihren tiefen Atemzügen und versuchte in diesen gleichmäßigen, beruhigenden Rhythmus hineinzufinden, ihn sich zu Eigen zu machen, um ebenfalls wieder einzuschlafen. Vergeblich. Seit etwa zwei Wochen konnte er nicht mehr richtig schlafen. Genau seit jenem Tag, an dem der Apotheker José Alakhir mit seiner ganzen Familie verschwunden war. Einfach so. Niemand in der Nachbarschaft schien zu wissen, wohin die Familie gezogen war. Oder wenigstens wagte niemand, es laut auszusprechen. Wie auch er selbst. Und dabei war José sein Freund. Juan drehte sich auf die Seite.
    Juan war einer der Schreiber des Stadtrats. Gewöhnlich führte er die Listen der in Córdoba ansässigen Handwerker und Kaufleute, stellte Handelsgenehmigungen und Zollbescheinigungen aus. Er führte Buch über den monatlichen Lebensmittelbedarf der Stadträte und listete Besitz und Inventar jener auf, die Córdoba verließen, um drüben, jenseits des Meeres, in der Neuen Welt ihr Glück zu suchen. Manchmal, wenn der oberste Schreiber anderweitig beschäftigt oder gar krank war, hatte er sogar die Ehre, im Namen des Stadtrats einen Brief an Seine Majestät Karl V. zu schreiben. Wie bereits sein Vater, sein Großvater und der Großvater seines Vaters führte er ein bescheidenes, ruhiges und unauffälliges Leben. Mit Feder und Tinte verdiente er genug, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu bestreiten. Und da sowohl er als auch seine Frau keineswegs verschwenderisch veranlagt waren, hatten sie im Laufe der Jahre immer wieder Geld zurücklegen können. Mittlerweile waren im Keller zwei Lederbeutel versteckt, prall gefüllt mit Goldstücken. Es hatte bisher keinen Grund gegeben, sich Sorgen zu machen, und das war so gewesen, seit er denken konnte. Aber das war jetzt anders. Seit dem Tag, an dem José verschwunden war, war alles anders. Seine Welt stand Kopf.
    Mit vor Müdigkeit brennenden Augen starrte Juan das schmale Rechteck des Fensters an, das sich deutlich auf der weiß getünchten Wand abzeichnete. Die Fensterläden waren geschlossen, aber durch die Ritzen im Holz wehte der Nachtwind ins Zimmer. Der Wind kam von den Bergen her und brachte Kälte und Feuchtigkeit mit sich. Ein eisiger Luftzug streifte Juans Wange, und er zuckte zusammen. Es war ein Gefühl, als wäre eben eine verlorene Seele an ihm vorbeigeschwebt. War es etwa José? Und bildete er es sich nur ein, oder trug der Wind tatsächlich den Geruch von Feuer mit sich, den abscheulichen Gestank eines brennenden Scheiterhaufens?
    Juan warf seiner Frau einen Blick zu. Suzanna lächelte im Schlaf. Wahrscheinlich träumte sie gerade von süßen, saftigen Orangen. Oder von den Kindern, die im Garten Verstecken spielten. Wie beneidete er sie um ihre Sorglosigkeit. Ihr Himmel war noch ungetrübt. Noch ahnte sie nichts von der Dunkelheit, die sich langsam um sie herum zuzog und ihr Glück, ihre Zufriedenheit, vielleicht sogar ihr Leben bedrohte. Juan begann zu zittern. Er hielt es nicht länger im Bett aus, allein mit seinen Gedanken, seinen Befürchtungen, seinen Ängsten. Und seinen Schuldgefühlen. Er drohte zu ersticken, er brauchte Luft. Vielleicht vermochte der kalte Wind aus den Bergen seine Furcht zu vertreiben. Leise schlich er sich aus dem Schlafgemach. Er wollte Suzanna nicht wecken, er liebte sie zu sehr, um sie zu beunruhigen. Es war genug, wenn er selbst nächtelang wach lag und keinen Frieden mehr fand. Sie sollte ihre Kräfte schonen. Wenigstens solange sie es noch konnte.
    Lautlos stieg Juan die schmale Treppe empor, die zur Dachterrasse führte. Er
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