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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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Fuß der Kanzel gemacht hatte, trat Pater Giacomo einen Schritt zur Seite. Er zog an einem der an der Säule befestigten eisernen Kerzenleuchter wie an einem Hebel. Ein steinernes Schaben erfüllte den Raum der kleinen Kirche, aber es war nichts zu sehen. Noch nicht, denn der Hebel löste lediglich die Haken, mit denen die Kanzel an der Säule festgehalten wurde.
    Pater Giacomo nickte Pedro und Carlos zu. Die beiden Diener stemmten sich gegen die Treppe und schoben sie mitsamt der Kanzel unter Ächzen und Stöhnen um die Säule herum. Obgleich sie auf mehreren kleinen Rädern ruhte, war es eine schwere Arbeit, und der Schweiß tropfte ihnen von der Stirn. Für Stefano war es jedes Mal ein Wunder, wenn er diesem Schauspiel beiwohnte. Mit vor Aufregung klopfendem Herzen sah er zu, wie der dunkle Spalt im Boden allmählich größer und größer wurde, bis schließlich ein Loch von vier Fuß Durchmesser im Boden klaffte und den Blick auf eine steinerne Wendeltreppe freigab, die in die Tiefe führte. Gewiss hätte niemand je vermutet, dass sich direkt unter dem Sockel der steinernen Kanzel der Eingang zum Verlies der heiligen Inquisition verbarg.
    Pedro und Carlos wischten sich den Schweiß von der Stirn. Im Licht der Fackeln waren nur die ersten drei Stufen der Treppe zu erkennen. Der Rest verlor sich in einer Finsternis, schwärzer noch als im Bauch des Walfisches, der einst den Propheten Jona verschluckt hatte. Pedro verschwand mit einer der Fackeln in der Tiefe und Pater Giacomo folgte ihm.
    Sein Schatten wurde beim Abstieg länger, bis er kurz darauf hinter der Mittelsäule der Treppe verschwunden war. Stefano setzte seinen Fuß auf die erste Stufe, und im selben Augenblick drang ein Klagelaut zu ihm herauf, der ihm das Blut in den Adern gerinnen ließ. Es war ein entsetzlicher Schrei, der langsam in ein heiseres Wimmern überging. Er klang wie der Schrei einer Frau. Doch ebenso gut hätte es ein tödlich verwundetes junges Tier sein können. Stefanos Herz zog sich zusammen, und am liebsten wäre er auf der Stelle umgekehrt, um San Tomás für immer zu verlassen.
    »Warum quält ihr diese armen Menschen bis aufs Blut?«
    Eine Stimme, dröhnend und bebend vor Zorn und dennoch überirdisch schön, erklang plötzlich hinter ihm. Erschrocken fuhr Stefano herum, doch da war niemand. Niemand außer Carlos, der ihn mit der Fackel in der Hand erwartungsvoll ansah. Das war niemals Carlos’ Stimme gewesen. Aber wer hatte dann zu ihm gesprochen? Oder hatte er sich die Stimme nur eingebildet?
    Rasch wandte Stefano sich erneut dem Loch im Boden zu, um endlich ebenfalls hinunterzugehen, doch er stand da und starrte regungslos in die Finsternis hinab. Er hörte die Schritte von Pedro und Pater Giacomo. Bald mussten sie den Fuß der Treppe erreicht haben, und gleichzeitig drangen weitere Klagelaute aus der Tiefe empor.
    »Hör, Stefano!« Wieder vernahm er die Stimme so deutlich, als würde der Sprecher direkt hinter ihm stehen. Er drehte sich erneut um.
    »Hast du etwas gesagt, Carlos?«
    »Pater?« Der Diener sah ihn an, und auf seinem Gesicht erschien ein einfältiger Ausdruck.
    Stefano schüttelte verwirrt den Kopf. Nein, es war nicht Carlos, der zu ihm gesprochen hatte. Seine Stimme klang ganz anders – ungebildet, mit dem Akzent der einfachen Landarbeiter aus dieser Gegend. Außerdem war sie schlichter, dünner, farbloser. Eben menschlicher.
    »Stefano, hör doch die Schreie der Gequälten, hör das Flehen der Gefangenen!«
    Das war wieder diese zornige Stimme. Jetzt schien sie aus einer anderen Richtung zu kommen, als würde der geheimnisvolle Sprecher vor dem etwa zwanzig Schritt entfernten Altar stehen. Trotzdem dröhnte sie laut wie eine Glocke durch die leere Kirche, sodass Stefano sich unwillkürlich die Ohren zuhielt.
    Carlos, der sichtlich gelangweilt von einem Bein auf das andere trat und seinen Gürtel zurechtrückte, sah ihn erstaunt an, und vor lauter Entsetzen ließ Stefano die Hände sinken. Wie auch immer es zugehen mochte, Carlos hörte die Stimme offenbar nicht. Aber warum nicht?
    »Weshalb ordnet ihr grausame Folter im Namen dessen an, der selbst die Liebe ist und euch Menschen den Auftrag gab, einander zu lieben, wie Er selbst euch liebte? Warum beschmutzt ihr Seinen Namen, indem ihr euch zu Mördern macht?«
    Die Worte schallten durch das Kirchenschiff. Stefanos Ohren begannen zu schmerzen. Gleichzeitig traf ihr Inhalt ihn wie Peitschenhiebe, und er fing an zu zittern. Er versuchte sich gegen diese
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