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Das Gold des Bischofs

Das Gold des Bischofs

Titel: Das Gold des Bischofs
Autoren: Simon Beaufort
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P ROLOG
April 1097, Durham
    Bekanntlich hieß es, dass ein Frevler, der die gesegnete Reliquie eines Heiligen anrührt, vom göttlichen Feuer verzehrt und der ewigen Verdammnis anheimfallen werde. Ob das wirklich so war, wusste Bruder Wulfkill nicht, aber er wollte es nicht darauf ankommen lassen. Deshalb trug er stets Handschuhe, wenn er die Knochen längst verstorbener Märtyrer anfasste, und wappnete sich zusätzlich mit Gebeten und Zauberformeln.
    Vor ihm stand der Reliquienschrein des Heiligen Balthere. Mit einem Stock löste Wulfkill den Verschluss und hob den Deckel an. Er hatte den Anblick von Knochen erwartet, die vielleicht noch in halb verrottete Seide gehüllt waren. Stattdessen starrte er überrascht auf die ausgedörrten Überreste einer großen, zusammengerollten Schlange. Er bekreuzigte sich. Hatte der Heilige sich etwa in dieses abscheuliche Ding verwandelt, um sein Missfallen über das unrechtmäßige Öffnen des Schreins zum Ausdruck zu bringen? In plötzlicher Furcht schlug Wulfkill den Deckel wieder zu.
    Nach ein paar hastigen Gebeten, als nichts darauf hindeutete, dass der Teufel kommen und ihn holen würde, brachte Wulfkill den Mut auf, ein zweites Mal in das Behältnis zu schauen. Er holte tief Luft, hob den Deckel und duckte sich, schon in Erwartung des göttlichen Zorns, aber nichts geschah. Die Schlange lag noch da und war so tot und vertrocknet wie das Laub im Winter. Wulfkill hockte sich auf die Fersen und grübelte über seine nächsten Schritte nach.
    Man hatte ihn bezahlt – und das recht großzügig –, damit er die Knochen entwendete und am vereinbarten Ort hinterlegte. Nun war Balthere nicht verfügbar und Wulfkill in Schwierigkeiten. Von einem Teil des Lohns hatte er bereits ein neues Dach für seine Schwester und Medizin für die Armen gekauft. Er bezweifelte allerdings, dass seine Auftraggeber dafür Verständnis haben würden: Sie würden Balthere haben wollen oder ihr Geld zurückfordern. Und wie es aussah, konnte Wulfkill weder das eine noch das andere herbeischaffen.
    Ein listiger Ausdruck trat auf sein Gesicht, als ihm eine Lösung einfiel. Vielleicht könnte er sich den Glauben zunutze machen, dass ein plötzlicher Tod jedem drohte, der die Knochen eines Heiligen berührte: Er würde die Schlange einfach in den mitgebrachten Sack packen und sagen, er habe damit den Inhalt des Reliquienschreins überbracht – was völlig der Wahrheit entsprach. Er war ein Mönch, und niemand würde an seiner Behauptung zweifeln, dass er sich den Inhalt aus Furcht um seine unsterbliche Seele nicht so genau angesehen habe. Jeder wusste, dass gottesfürchtige Menschen solche Geschichten, in denen von ewiger Verdammnis die Rede war, beherzigten, und so mochte Wulfkill selbst dann noch ungeschoren davonkommen, wenn seine Auftraggeber erkannten, dass er ihnen nicht das Gewünschte gebracht hatte.
    Er unterdrückte den Abscheu, langte in den Kasten und holte den Kadaver heraus. Es gab ein trockenes Knistern, und er sah die weißen Knochen schimmern, wo die Haut weggefault war. Wulfkill steckte die Schlange in den Sack und verschnürte ihn mit einem Stück Garn.
    Er war sich bewusst, wie viel Zeit bereits verstrichen war. Also schloss er den Deckel und schob den Reliquienschrein behutsam in die Nische im Hochaltar zurück. Mit staubigem Handschuh verwischte Wulfkill sämtliche Hinweise, dass der Schrein bewegt worden war, dann ging er zur Tür. Jetzt kam der gefährlichste Teil des Unternehmens, da nämlich ein Gemeindeglied beobachten könnte, wie er mitten in der Nacht mit dem Sack über der Schulter aus der Kirche trat.
    Aber es war schon sehr spät, und die Stadt lag in ruhigem Schlaf. Selbst jetzt im Winter gab es Arbeit auf den Feldern zu verrichten, und die Bewohner der elenden Hütten in der Nachbarschaft waren viel zu erschöpft, um des Nachts wach zu bleiben und sich zur Geisterstunde um anderer Leute Geschäfte zu kümmern. Wulfkill eilte ungesehen aus der Kirche und zum Fluss hinunter, wo er sich auf den langen Weg zum vereinbarten Versteck machte.
    Kurz vor Sonnenaufgang erreichte er den Ort, wo er Balthere zurücklassen sollte. Allmählich entspannte er sich in dem Bewusstsein, dass diese Prüfung beinahe vorüber war. Bald würde er auf demselben Weg zurückkehren und dann den Rest des Tages davon träumen können, wie er den verbliebenen
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