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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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Anschuldigungen zu wehren. Wer konnte es wagen, die Absichten der heiligen Inquisition infrage zu stellen? Damit widersprach man nicht allein der Inquisition, sondern auch dem Papst, der heiligen katholischen Kirche, ja, sogar Gott selbst. Das war Ketzerei. Und doch regten sich tief in seinem Inneren seltsame, gefährliche Gedanken. Diese Gedanken gaben der geheimnisvollen Stimme Recht. Sie flüsterten ihm zu, dass er, Pater Giacomo, ja, die ganze heilige Inquisition unrecht taten. Dass kein Christ jemals das Recht hatte, einem Menschen, ganz gleich, aus welchem Grunde, Schmerz zuzufügen, geschweige denn, ihn dem Tod auszuliefern. Und er verspürte den Wunsch, dieses arme gequälte Wesen, das eben geschrien hatte, zu befreien und fortzubringen an einen geheimen Ort, an dem es sicher war und keine Schmerzen mehr erleiden musste. Ja, das war seine Aufgabe. Er sollte die Menschen vor den Fängen der Inquisition retten. In seinem gerechten Zorn hatte der Engel, denn er war jetzt sicher, dass es ein Engel gewesen sein musste, ihm den Weg gewiesen.
    Stefano zog seinen Fuß von der ersten Stufe der Wendeltreppe zurück und wandte sich um. Er musste San Tomás verlassen, jetzt gleich. Doch hinter ihm stand immer noch Carlos. Wahrscheinlich wunderte der sich schon, weshalb Stefano nicht längst Pater Giacomo ins Verlies gefolgt war. Er schaute ihn bereits neugierig an. Sollte er Carlos etwa erzählen, was er gerade erlebt hatte? Nein. Der Diener war einfältig. Er würde ihn gewiss für verrückt oder gar besessen halten. Aber was würde geschehen, wenn er einfach an ihm vorbeiginge und diesen grauenvollen Ort verließe? Würde Carlos dann versuchen ihn aufzuhalten? Würde er Pater Giacomo zu Hilfe rufen? Und was würde danach geschehen?
    Man wird dich festnehmen, dich die hundertfünfundfünfzig Stufen in den Kerker hinunterschleifen und dort unten verhören wie die anderen, die vor dir diesen Weg gegangen sind.
    Stefano blickte schaudernd in die Finsternis hinab. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er Todesangst. Die Angst, die wohl jeder hatte, der mit gefesselten Händen und Füßen diese Treppe hinuntersteigen musste. Die Macht dieser Angst ließ ihn taumeln. Und vermutlich wäre er die Treppe hinabgestürzt, wäre Carlos ihm nicht im letzten Augenblick zu Hilfe geeilt und hätte ihn gestützt.
    »Pater Stefano! Ist Euch nicht wohl?«
    »Danke, Carlos.« Er brachte diese Worte nur mühsam hervor. Er wollte sich aus dem Griff befreien, doch der Diener ließ ihn nicht los. Schöpfte er etwa bereits Verdacht? Wollte er ihn festhalten, bis er die anderen Diener der Inquisition herbeigerufen hatte? Da kam ihm ein Gedanke. »Wahrscheinlich ist es nur eine vorübergehende Schwäche. Vielleicht sollte ich besser ins Kloster zurückkehren und mich in meine Zelle begeben. Ich fühle mich etwas … fiebrig.«
    Zweifelnd sah der Diener zuerst ihn an und dann die Stufen hinab.
    »Ich weiß nicht, Pater«, sagte er unsicher und zuckte mit den Schultern. »Ihr seht wirklich krank aus. Aber Ihr werdet dort unten gebraucht. Ohne Euch kann das Verhör nicht beginnen.«
    Stefano schloss die Augen. Die Worte des Dieners trafen ihn wie Pfeile mitten ins Herz. Ja, in der Tat, Carlos hatte Recht. Seine Anwesenheit war notwendig, das schrieb das Protokoll der heiligen Inquisition vor. Ohne ihn würde es kein Verhör geben, kein Leid, keine Qualen. Wie oft schon hatte er allein durch seine Anwesenheit Schuld auf sich geladen? Stefano wurde übel.
    Er konnte nicht dort hinabsteigen. Er konnte nicht noch mehr Unheil über andere bringen. Gott hatte ihm in dieser Stunde einen Engel gesandt, der ihm nach Monaten, vielleicht sogar nach Jahren der Finsternis die Augen geöffnet hatte. Sollte er sie jetzt etwa wieder schließen und sich somit wissentlich gegen den Willen des Herrn stellen? Nein, das konnte er nicht tun, das war unmöglich, das war …
    Da tauchte plötzlich ein anderer Gedanke auf, und ihm war, als würde Pater Giacomo zu ihm sprechen. Wenn er sich irrte? Wenn es nun gar kein Engel gewesen war? Der Teufel war voller List und Tücke. Er war zu feige, offen gegen die Diener des Herrn zu kämpfen, und er genoss hinterlistige Spielchen und Intrigen. Deshalb führte er die Menschen in Versuchung. Er weckte unkeusche Gelüste in frommen Mönchen und säte Zweifel in die Herzen rechtschaffener Priester. »Sei stets wachsam«, pflegte Pater Giacomo ihn nahezu täglich zu ermahnen. »Satan ist ein vollendeter Verführer, und selbst die
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