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Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)

Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)

Titel: Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
Autoren: Anne Mallory
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    Geheimnis 1: Jede erfolgreiche Verführung beginnt mit einem Haken für einen Köder.
    Aus: »Die sieben Geheimnisse der Verführung«
    L ONDON 1820
    Miranda Chase lehnte an der abgenutzten, von vielen Händen rund geschliffenen Kante des Ladentischs. Geistesabwesend wickelte sie eine ihrer kastanienbraunen Haarsträhnen um einen Finger, strich mit dem Daumennagel darüber und erzeugte ein leises, gleichmäßiges Geräusch neben ihrem Ohr. Wie gebannt verschlang sie die Zeilen auf der Buchseite, die sie gerade las.
    »Lauf schneller«, murmelte sie. »Nein, nicht in den Garten – genau dort will er dich ja haben. Lauf zum Turm. Versperr die Tür.«
    Stattdessen eilte die Heldin in den Irrgarten und folgte einem gewundenen Weg, der sie in die Freiheit oder für immer in die Klauen des Bösen führen würde. Miranda fühlte sich mitten im Geschehen, da hörte sie eine Stimme.
    »Wo finde ich Literatur über die Aufklärung?«, drang es vage an ihr Ohr.
    In ihrem Nacken spürte sie den Atem des Schurken, der sich der Heldin näherte – mit einem Pferdefuß und von Qualm umhüllt. Passte zu dem rauchigen Timbre des Mannes hinter ihr, dachte sie ganz nebenbei und deutete, ohne von ihrem Buch aufzublicken, zerstreut mit einem Finger ihrer behandschuhten Hand unbestimmt in eine Ecke des Ladens. »Drittes Regal von rechts.«
    Dann widmete sie sich wieder ihrer Lektüre und ließ den störenden Kunden gewissermaßen zwischen den Hecken des Labyrinths verschwinden, während sie die flüchtende Heldin anfeuerte, schneller zu laufen. Nur mehr ein Dornenwall trennte den Feind von ihr. Wenn er an der Gabelung abbog …
    »Und Literatur über …«
    »Hm?«, murmelte sie, und ihre Konzentration ließ ein wenig nach. Wäre Peter bloß nicht krank geworden – nur deshalb hatte sie die Spätnachmittagsschicht übernehmen müssen, statt sich diesem spannenden Buch zu widmen. Es handelte sich um ein Vorausexemplar, das frisch gedruckt und gebunden erst am Morgen in ihre Hände gelangt war.
    Seitdem las sie darin, denn zu dieser Tageszeit bereiteten die Leute sich bereits auf ihre abendlichen Vergnügungen und Verpflichtungen vor und verirrten sich kaum noch in eine Buchhandlung. Sie konnte also sogar hinter dem Ladentisch ziemlich ungestört lesen. Bis jetzt zumindest.
    »Literatur über …«
    Bei der Gabelung bog der Schurke nach rechts ab. Natürlich. Miranda schüttelte den Kopf. Wo sie der Heldin doch so dringend geraten hatte, sich im Turm einzuschließen… Dort wäre sie in Sicherheit gewesen.
    »Hören Sie mir überhaupt zu, Miss?«
    Die tiefe Stimme klang etwas heiser und müde, als hätte der Sprecher letzte Nacht zu lange gezecht und wäre eben erst erwacht. Eine betörende, mysteriöse Stimme. So wie die des Schurken in dem Roman. Der edle Held drückte sich klarer aus, und Miranda hatte der Heldin eingeschärft, sie dürfe sich nicht von dem zungenfertigen Bösewicht verführen lassen.
    »Miss?«
    »Mhm.«
    Der redegewandte Dämon näherte sich. »Wo finde ich Literatur über …?«
    Schwang Amüsement oder Spott in der Frage mit? Wieso hatte er nicht einfach vorher die gewünschten Bücher bestellt, wie es die Stammkunden zu tun pflegten? Dann müsste er sie jetzt nicht behelligen. Vor allem Standespersonen hielten es so. Die erkannte sie gleich an der Art zu sprechen. Tonlos und gelangweilt, vielleicht irritiert. Nur selten ließen sich diese vornehmen Gentlemen zu Diskussionen mit einem Ladenmädchen herab.
    Aber diese Stimme klang anders. Ungewöhnlich warm, fast wie eine Liebkosung. Als würde dieser Mann wirklich mit ihr sprechen und nicht mit einer namenlosen Person. Auch fehlte ihr das arrogante Näseln, mit dem so viele feine Herren ihr mangelndes Wissen über klassische Literatur zu verschleiern und jedem Zweifel an ihrer Kompetenz vorzubeugen suchten. Ihre Stellung schien ihnen das Recht zu solcher Anmaßung zu geben.
    Miranda fand das gar nicht und musste sich regelrecht zwingen, in solchen Situationen Gleichmut zu bewahren. Aber sie war ja bloß die sanfte, demütige, pflichtbewusste Nichte, der Widerspruch nicht zustand. Deshalb sparte sie sich ihre Energien lieber für wichtigere Dinge. Für Briefe etwa, in denen sie ihren Gedanken zu literarischen Themen Ausdruck verlieh.
    Diese warme Stimme allerdings weckte keine Assoziationen, die mit intellektuellen Disputen oder rhetorischen Spitzfindigkeiten zu tun hatten, sondern beschwor eher Visionen von Ballsälen, Separees und Schlafzimmern herauf. Miranda
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