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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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stemmte die Luke auf, trat hinaus und bahnte sich seinen Weg an den frisch gewaschenen, nach Lavendelwasser duftenden Laken, den zahlreichen Kinderstrümpfen und -hosen vorbei zu der niedrigen Mauer, die die Dachterrasse zu allen Seiten hin einfasste.
    Wo war José? Wo steckte seine Familie?
    Juan atmete tief ein. Die kalte, klare Luft füllte seine Lungen, sein Herzschlag wurde ruhiger, und seine Gedanken begannen sich zu ordnen. Vielleicht machte er sich unnötig Sorgen. War es nicht möglich, dass José Córdoba wirklich verlassen hatte, um auf der anderen Seite des großen Meeres in der Neuen Welt ein neues Leben zu beginnen? In den neuen Kolonien wurden Händler, Handwerker, Bauern und Gelehrte gebraucht. Und viele Menschen folgten dem Aufruf des Kaisers. Immer wieder mussten Juan und seine Kollegen Inventarlisten von Besitztümern anfertigen, die Auswanderungswillige in Córdoba zurückgelassen hatten und die, sofern keine anderen Verfügungen getroffen worden waren, in das Eigentum der Stadt übergingen. Die Häuser, Möbel und anderen Wertgegenstände wurden verkauft, und der Erlös floss zu gleichen Teilen an Seine Majestät und die Kirche. Dass José mit seiner Familie Córdoba verlassen hatte, war also nichts Ungewöhnliches. Die Neue Welt lockte mit unbekannten Reizen.
    Und was ist mit dem Inhalt der Listen? Die Stimme des Zweifels meldete sich, und Juan verspürte wieder dieses nagende, unangenehme Gefühl, das ihm nunmehr seit zwei Wochen den Schlaf raubte.
    Manchmal, nein, wenn er ehrlich war, sogar oft hatte er sich gewundert, was die Leute alles in der Heimat zurückgelassen hatten – persönliche Andenken, Juwelen und andere Kostbarkeiten, die er auf jeden Fall auf eine Reise in die Neue Welt mitgenommen hätte. Aber diese Stimme des Zweifels war bisher leise gewesen. Jeder musste doch schließlich selbst wissen, was er tat, hatte er sich immer gesagt. Und so hatte er sein Unbehagen einfach ignoriert und die Listen weiter geschrieben, wie man es ihm befohlen hatte.
    Juan blickte zu den Sternen empor, in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden. Oder ein Zeichen, dass José sich gerade in diesem Augenblick auf einem Schiff befand, das nach Westen segelte. Aber die Sterne blieben stumm. Sie weigerten sich, ihm Trost zu spenden. Offenbar wollten sie ihn nicht belügen, denn die bittere, entsetzliche Wahrheit war: José hatte keinen Grund, mit seiner Familie das Land zu verlassen. Er war reich, ein angesehener Apotheker. Er besaß ein wunderschönes Haus in der Stadt und einen großzügigen Landsitz am Fuße der Berge. José war glücklich in Córdoba. Seine Familie lebte hier bereits seit vielen Generationen. Erst vor kurzem hatte er aus Dankbarkeit anlässlich der Verlobung seines ältesten Sohnes mit der Tochter eines Teppichhändlers einen prächtigen Marienumzug durch die Stadt veranstaltet und das Datum der Hochzeit bekannt gegeben. Verließ ein Mann wie er wenige Wochen vor der Hochzeit seines Sohnes die Stadt, um eine monatelange Schiffsreise in ein unbekanntes Land zu unternehmen? Noch dazu, ohne sich vorher von seinen Freunden gebührend zu verabschieden? Nein. Wenn José jemals vorgehabt hätte, die Stadt für immer zu verlassen, hätte er ein Abschiedsfest gegeben, über das man noch Monate danach gesprochen hätte. Aber wo war er dann? Wo steckte seine Familie? Und weshalb wollten Stadtrat und Bischof den Nachbarn und Freunden weismachen, José sei in die Neue Welt abgereist?
    Juan schüttelte den Kopf. Bis vor zwei Wochen hatte er seine Gedanken vor den Zweifeln gut verschließen können. Er war jeden Morgen an sein Schreibpult getreten und hatte seine Listen geschrieben. Es waren gesichts- und körperlose Namen gewesen. Und weshalb sollte nicht stimmen, was man den Schreibern erzählte? Wochen-, ja, monatelang hatte er sich vor der Wahrheit schützen können. Bis vor ihm auf dem Schreibpult der Name José Alakhir aufgetaucht war. Dieser Name war wie ein Weckruf, und das Erwachen war böse gewesen. José hatte ebenso wenig freiwillig die Stadt verlassen wie alle anderen vor ihm, deren Namen und Besitz José in Listen eingetragen hatte. Vielleicht waren sie sogar immer noch hier – in einem der geheimen unterirdischen Kerker der Inquisition.
    Juan seufzte. Wenn er in den letzten Tagen darüber nachgedacht hatte, wurde er zuweilen richtig wütend auf seinen Freund. Weshalb hatte José diesen Marienumzug veranstalten müssen? Hätte nicht eine großzügige anonyme Spende in den
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