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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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Menschen aus dem Boden gedrungen waren und die Bewohner aus ihrer Umgebung vertrieben hatten. Dass sein Großvater diese Zeit unbeschadet überlebt hatte, hatte er nur seiner Umsicht zu verdanken. »Wir dürfen nicht auffallen, unter gar keinen Umständen, sonst sind wir verloren«, hatte er immer gesagt. Deshalb hatte er sich nicht nur taufen lassen, sondern obendrein seinen Namen geändert – sowohl seinen Vorals auch seinen Familiennamen. Trotzdem hatte er Juan immer wieder ermahnt, vorsichtig zu sein. »Hör mir gut zu, mein Junge«, hatte sein Großvater stets zu ihm gesagt, »es gibt Männer in diesem Land, die sich von Namen und Glaubensbekenntnissen nicht beeindrucken lassen. Für sie bleibt ein Jude immer ein Jude, selbst noch in der dritten Generation. Das war schon immer so und wird wohl so sein bis zum Jüngsten Tag. Auch wenn jetzt alles friedlich zu sein scheint, irgendwann kommen sie wieder aus ihren Löchern gekrochen und beginnen ihre Hetzjagd von neuem. Sei gescheit, mein Junge, und verberge stets deine Herkunft, deine Bildung und deinen Wohlstand, damit dein Glück vor den Augen der Neider verborgen bleibt und du in Frieden leben und alt werden kannst.«
    Und so waren die Männer der Familie Martinez nicht wie José Alakhir, der aus seinem Wissen, seiner Bildung und seinem Vermögen keinen Hehl gemacht hatte. Sie waren einfache Schreiber, bescheidene Männer, die ihren Dienst gewissenhaft verrichteten, regelmäßig die heilige Messe besuchten, Kerzen spendeten, großzügige, aber unauffällige Almosen verteilten, in einem einfachen Haus lebten und selbst in Zeiten des Glücks und des Friedens für den Fall vorsorgten, dass sich das Blatt gegen sie wenden sollte. Bislang hatte Juan über diese Vorsicht oft lächeln müssen, obwohl sie ihm selbst ebenso in Fleisch und Blut übergegangen war wie vor ihm seinem Vater. Die Scheiterhaufen hatten in all den Jahren, die seit Tomás de Torquemada vergangen waren, zwar nie aufgehört zu brennen, aber es war selten gewesen, und die Verurteilten hatten für gewöhnlich ihr Schicksal verdient. Es waren Ketzer, Hexen und Zauberer gewesen, die sich mit schwarzer Magie beschäftigt und den heiligen Namen des Herrn in den Schmutz gezogen hatten. Für ihn hatte es keinen Grund gegeben, Angst zu haben.
    Aber jetzt war es wieder an der Zeit, sich zu fürchten. Der Wind hatte sich gedreht. Die Scheiterhaufen brannten öfter als früher. Etliche Bewohner aus dem Viertel um die Kirche San Tomás hatten ihre Häuser bereits verlassen. Und wenn Juan über die Straße ging, um Brot oder Fleisch zu kaufen, bemerkte er die seltsamen Blicke, die die Menschen einander zuwarfen. Lauernde, misstrauische Blicke. Niemand wusste, wer ein Mitglied der Inquisition war und wer nicht. Jeder beobachtete jeden. Nach einigen Jahrzehnten der oberflächlichen Ruhe hatte es wieder begonnen. Die Inquisition hatte die Menschen von Córdoba fest in ihrem Griff. José hatte sie schon geholt. Wann war er an der Reihe? Er hatte die Augen zu lange vor der entsetzlichen Wahrheit verschlossen. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät.
    Juan trat an die kleine schmale Brüstung der Dachterrasse und sah hinab. Es war dunkel auf den Straßen der Stadt. Die Luft war schwer von der nächtlichen Feuchtigkeit, und über den Gestank der in der Gosse verwesenden Abfälle legte sich der süße Duft von Jasmin. Irgendwo in einem der hinter hohen Mauern verborgenen Gärten sang ein Vogel, ein einsamer Zeuge des allmählich näher rückenden Morgens. Doch für eine Stunde war noch die Nacht uneingeschränkte Herrscherin über Córdoba. Eine einzige goldene Stunde trennte noch die erholsame Nacht von der Mühsal des Tages.
    Aber nicht für mich, dachte Juan und rieb sich die brennenden Augen. Nicht für mich. Was wiegt wohl schwerer, die Angst oder die Schuld? Ist es nicht am Ende einerlei?
    Schritte näherten sich aus einiger Entfernung. Das Geräusch dröhnte durch die nächtliche Stille, als würde ein Schmied mit seinem Hammer auf einen Amboss schlagen. Vorsichtig, um nicht gesehen zu werden, beugte Juan sich vor und spähte über die Mauer. Dort unten gingen vier Männer vorbei. Zwei von ihnen waren einfach gekleidet und hielten Fackeln in den Händen, die anderen beiden trugen die weißen Gewänder der Dominikaner und die typischen schwarzen Mäntel und großen Kreuze auf ihrer Brust, die im Schein der Fackeln aufblitzten und sie als Priester kennzeichneten. Sie sahen ein bisschen aus wie Gespenster. Der
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